Australien 02 - Der Sternenleser
Schritte weiter gelangten sie zu einer Ansammlung von Eingeborenenhütten und einem schwelenden Lagerfeuer.
»Sie können nicht weit weg sein«, stellte Willstead fest.
»Stimmt genau, Leutnant«, entgegnete der Gouverneur. »Schade, dass wir nicht wissen, in welche Richtung sie gegangen sind.«
Hinter den Bäumen und Sträuchern rings um das Lager hätte sich eine ganze Armee verstecken können.
»Wo sind sie bloß?«, fragte der Gouverneur gereizt. »Warum verstecken sie sich vor uns?«
Willstead fühlte sich berufen, ihm eine Antwort zu geben.
»Ich nehme an, dass sie abwarten, wie wir uns verhalten, Sir. Wenn sie merken, dass wir friedliche Absichten haben, werden sie sicherlich herauskommen.«
Doch der Gouverneur war zu gereizt, um sich mit Mutmaßungen zufriedenzugeben.
»Aber wann, Mr. Willstead? Wann wohl werden sie sich endlich dazu herablassen, mit uns zu sprechen?«
Während sie weitergingen, verbreiterte sich der Fluss; auf beiden Seiten erstreckte sich eine sanft gewellte, offene Graslandschaft, kein Gestrüpp und keine Wälder mehr, sondern einzeln stehende Bäume. Hier, wie nirgends sonst, war die Vorstellung von einem Gutsherrenpark nicht mehr ganz so lächerlich.
Der Gouverneur ließ Halt machen.
»Hauptmann Silk, die Pflanzkelle, wenn ich bitten darf.«
Er grub eine Handvoll dunkler Erde aus, drückte sie mit der Hand zusammen, begutachtete den krümeligen Ball eingehend und roch daran. Ob er ihn wohl auch kosten wollte? Silk, der mit der Kelle in der Hand in würdevoller Haltung neben ihm stand, warf Rooke einen belustigten Blick zu.
»Leutnant Rooke«, sagte der Gouverneur und drehte sich um, worauf Silk schnell wieder eine ernste Miene aufsetzen musste, »seien Sie so gut und notieren Sie die Lage dieser Stelle. Ich habe den Eindruck, dass die Erde hier sehr fruchtbar ist.«
Rooke zog sein Notizbuch und seinen Kompass hervor, führte damit von einem nahe gelegenen Hügel Peilungen aus, zeichnete eine Linie, die den Fluss darstellen sollte, und veranstaltete im Übrigen ein mächtiges Brimborium, um ihren Standort zu ermitteln.
»Besten Dank, Leutnant«, sagte der Gouverneur und rang sich huldvoll ein verkniffenes Lächeln ab.
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Als Brugden am Abend jenes Tages erneut das Gewehr und einen Beutel Schrot ausgehändigt bekam, verkündete er prahlerisch, er werde dieses Mal mit etwas Besserem als einem Opossum zurückkommen.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Gentlemen«, rief er Rooke und Willstead zu, als er sich auf den Weg machte. »Wenn dort draußen irgendetwas Essbares zu finden ist, wird es mir nicht entwischen. Was sich bewegt, wird garantiert erschossen!«
Das Gewehr über der Schulter, stolzierte er davon.
»Sorgen habe ich mir eigentlich nicht groß gemacht«, brummte Willstead Rooke zu. »Aber diesem Burschen werden meiner Ansicht nach viel zu große Freiheiten gewährt.«
Mit unverhohlenem Missfallen blickte er Brugden nach.
Als sie eine halbe Stunde später alle am Lagerfeuer saßen, hörten sie in der Ferne den Widerhall eines Schusses.
»Abendessen, schätze ich«, meinte Silk.
Doch wenig später kam etwas mit lautem Getöse den Hang hinuntergestürzt, und dann brach auch schon Brugden aus den Sträuchern hervor, die Kappe schief über einem Ohr, den Bart voller Blätter, ein Auge dick angeschwollen.
»Die Scheißkerle haben mich mit Steinen beworfen«, brüllte er, »’tschuldigen Sie, Sir, aber diese verfluchten Scheißkerle haben mich mit Steinen beworfen!«
Er streckte den Arm vor, auf dem eine angeschwollene rote Schürfwunde zu sehen war.
Sein Arm interessierte den Gouverneur nicht.
»Was ist passiert, Brugden?«, herrschte er ihn an. »Los, erzählen Sie, aber ein bisschen plötzlich!«
Rooke meinte daraufhin, in der Miene des Sträflings etwas Durchtriebenes zu bemerken. Ihm erschien er als ein Mann, der stets auf seinen eigenen Vorteil bedacht war.
»Ich habe überhaupt nichts getan, Sir«, sagte er. »Ich bin einfach nur durch die Gegend gezogen, hatte schon ein paar Krähen erlegt und wollte gerade auf so ein Opossum zielen, da knallte mir ein Stein ins Kreuz und ein anderer hier auf den Arm. Das Gestrüpp war so dicht, dass ich nichts sehen konnte, nicht das Geringste, Sir!«
Nicht nur Rooke, auch der Gouverneur schien in diesen Worten verdächtig viel Protest wahrzunehmen.
»Und dann? Haben Sie geschossen? Raus mit der Sprache, Mann!«
Hinter seinem dichten Bart konnte Brugden seinen Gesichtsausdruck gut verbergen.
»Sie sind auf mich
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