Australien 03 - Tal der Sehnsucht
einen Julian… ein warmer Bruder. Nimm’s nicht persönlich, Evan. Und du, Mum … poppst den Herausgeber des Chronicle , nachdem dein Mann mit deiner Schwester durchgebrannt ist. Was für ein Irrsinn! Und dann bin da noch ich … ein Bastard, sozusagen. Mit einem so grauenvollen Vater, dass mir Mum nicht verraten will, wer er war. Und jetzt habe ich mich mit dem Vormann eingelassen.« Sie hob die Hand, in der sie Jims hielt, über die Tischkante. »Könnt ihr euch vorstellen, was Prudence Beaton dazu sagen würde? Oder die Chillcott-Clarks?«
Alle im Raum verstummten, alle Blicke kamen auf ihr zu liegen. Das Lächeln auf Rosies Gesicht erlosch, als sie sich umsah. Jim starrte sie mit Pokermiene an, ihre Mutter hatte die Lippen zusammengekniffen, und Evan legte fürsorglich die Hand auf Julians Schulter. Dann, als wäre ein Schalter umgelegt worden, begannen auch Margaret, Evan und Julian loszuprusten, und bald lachten sie alle laut genug, um die Geister der Dienstboten aus dem Speicher zu verjagen. Aber noch während ihre Familie fröhlich lachte, merkte Rosie, wie sich in ihrer Magengrube ein unsicheres Gefühl breit machte. Jim hatte still und heimlich seine Hand aus ihrem Griff gezogen.
Bis Rosie die Küche sauber gemacht hatte und ins Quartier zurückkehrte, lag Jim schon in tiefem Schlaf. Statt sich an seinen warmen Leib zu schmiegen, kehrte ihm Rosie den Rücken zu. Was machte ihm so zu schaffen? Und wie konnte sie schlafen, wenn sie für ihr Leben gern herausfinden wollte, wer ihre wahren Verwandten waren? Seufzend fasste sie nach der Zeitung des Working Kelpie Council neben dem Bett und begann zu lesen.
Bolero Station, New South Wales, um 1874
Ein heißer, windiger Tag erwachte unter einem farbenprächtigen Sonnenaufgang zum Leben. Jack blickte zu den wahnwitzigen Wolken auf, die über der roterdigen Ebene der Riverina hingen. Knallrosa, blaue und rote Streifen zogen sich über den Himmel wie breite Pinselstriche auf dem Gemälde eines Irrsinnigen. Jack zog seinen Hut in die Stirn und schlug den Weg zu den Hundezwingern ein. Kelpie wartete nicht wie sonst mit aufgestellten Ohren und schwanzwedelnd auf ihn. Stattdessen hatte sie sich in das dunkle Loch in ihrem Zwinger verkrochen. Er bückte sich und schaute hinein.
»Also, Mädchen«, begrüßte er sie mit einem breiten Grinsen, »du hättest bei Gott auf mich warten können! Eigentlich solltest du erst in zwei Tagen so weit sein!«
Kelpie hatte ihren Leib um einen Wurf von fetten Welpen mit glänzendem Fell gelegt. Insgesamt waren es fünf an der Zahl. Überrascht, welche Farbenvielfalt Moss und Kelpie gezeugt hatten, nahm Jack jeden der winzigen Welpen einzeln hoch. Ein Welpe war tiefschwarz, einer schwarz-braun wie Kelpie, zwei waren rostrot, und der letzte hatte ein schiefergraues Fell.
Er konnte es kaum erwarten, Mary zu erzählen, dass die Welpen gesund und munter zur Welt gekommen waren. Normalerweise hätte er ihr geschrieben. Aber nächste Woche würde er sie ohnehin sehen, da man ihm auf Bolero frei gegeben hatte, damit er zur Ostermesse in die Kirche der Ryans reiten konnte. Dort versammelte sich Sonntag für Sonntag nach einer staubigen Reise von ihrem Heim auf Wallandool der Clan der Ryans in den vordersten Kirchenbänken. Launcelot Ryan würde missbilligend beobachten, wie sich Jack und Mary heimlich glückselige Blicke zuwarfen. Danach würde er wie ein Schatten in der Nähe des Paares lauern und sicherstellen, dass sie nur Höflichkeiten und keinesfalls mehr austauschten. Achselzuckend schüttelte Jack den Gedanken an Marys Vater und an die Schwierigkeiten ab, die er ihnen in den Weg legte. Er hatte fünf wunderschöne Welpen! Er zog los, um Tom Keogh zu finden, einen anderen Tagelöhner, der über die Nachricht, dass die Welpen da waren, begeistert wäre. Schließlich hatte ihm Jack einen Welpen aus Kelpies erstem Wurf versprochen.
Während auf Bolero der Winter dem Frühling wich, wuchsen die Welpen allmählich zu erstklassigen Hunden heran. Im ganzen Distrikt Mirool war kein Regen gefallen, weshalb Jack den Großteil seiner Tage damit zubrachte, die durstigen Herden mit Wasser zu versorgen. Wegen der Trockenheit bekam er nicht frei, um Mary auf Wallandool zu besuchen. Stattdessen schrieb er ihr gespreizte Briefe, wobei er jedes Mal vor seinem geistigen Auge sah, wie ihr Vater das Wachssiegel erbrach und seine privaten Worte las. Wenn er dann doch einen Tag lang nicht zu arbeiten brauchte, befasste er sich mit seinen Welpen, um
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