Australien 03 - Tal der Sehnsucht
Trotzdem war ihr erstes Ehejahr eine glückliche Zeit. Sie hatten mehrere frische Welpen, die Großes versprachen, und Mary half ihm, sie auszubilden. Die starken Vererbungslinien von Kelpie, Moss und Caesar setzten sich eindeutig durch. Allerdings hatten Kelpie und Moss ihre besten Zeiten hinter sich. Kelpie, ausgelaugt nach vielen Jahren schwerer Arbeit und langer Trächtigkeit, war das Alter mittlerweile deutlich anzusehen. Inzwischen war ihre Schnauze ergraut, ihr Blick getrübt, und sie schlich über die Weiden wie der alte, schon vor Jahren dahingeschiedene Faulpelz. Sie weigerte sich sogar, von Marys Seite zu weichen, wenn Jack sie rief… selbst wenn Jack nur ihre Gesellschaft genießen wollte. Kelpie litt inzwischen an Arthritis, ihre Hüften waren steif und die Vorderläufe nach außen gestellt, während sie hinten absackte. In der Sommerhitze hechelte sie, und in der Kälte des Winters zitterte sie.
An jenem Tag, an dem sie den Wagen beluden, um den Weg nach Lake Cowal anzutreten, lagerte Kelpie müde im Schatten.
»Als wollte sie uns sagen, dass sie genug umhergezogen ist«, stellte Jack traurig fest. Er pfiff noch mal nach ihr, aber Kelpie wandte schuldbewusst den Kopf zur Seite, als sie den Befehl verweigerte. Sie blieb im Schatten ihres Zwingers liegen, dabei war sie nicht angeleint.
»Komm schon, Kelpie, altes Mädchen«, bettelte Jack.
In Kelpies Schwanzspitze flackerte kurz Leben auf, aber statt angetrottet zu kommen, seufzte sie nur und verkroch sich noch tiefer in ihren Zwinger.
»O Jack«, sagte Mary, »sie wird nicht mehr lang auf dieser Welt weilen.«
Bei dem Gedanken daran, welchen Weg er mit Kelpie zurückgelegt hatte, wurden Jack die Augen feucht. Sie war der Anfang all dessen gewesen, was er geschaffen hatte. Sie war seine stete Begleiterin gewesen. Mary legte die Arme um Jack.
»Hol sie aus dem Zwinger, Jack. Sie kann mit mir auf dem Wagen fahren. Schau, ich habe ihr sogar eine alte Pferdedecke zurechtgelegt. «
Jack ging in die Hocke und lockte Kelpie aus ihrem halbdunklen Versteck. Vorsichtig hob er sie hoch und setzte sie auf der Decke ab. Sie hatte die Rute zwischen die Beine geklemmt, und sie versuchte mehrmals, vom Sitz des Wagens herabzuspringen, um sich wieder in ihrem Zwinger zu verkriechen.
»Bleib hier, Kelpie«, befahl Jack mit fester Stimme.
»Vielleicht sollte sie das wirklich«, meinte Mary liebevoll.
»Hier bleiben?«
»Tim Garry hat uns angeboten, sie aufzunehmen. Das weißt du doch, Jack.«
»Ich weiß.« Seufzend dachte Jack an seinen guten Freund auf Ungarie, der mit Entsetzen gesehen hatte, wie schnell Kelpie gealtert war.
»Wir könnten sie unterwegs absetzen«, sagte Mary mit Tränen in den Augen.
Jack schluckte. Er wusste, dass Mary Recht hatte. Die arme alte Hündin würde die Reise kaum überstehen. Tim hatte einen mit Wolle ausgelegten Zwinger für Kelpie versprochen und ihnen versichert, ihr jeden Tag eine gute Mahlzeit von seinem eigenen Tisch abzuzweigen. Sie hätte es ruhig, friedlich und bequem während ihrer letzten Tage. Jack konnte nur mit Mühe die Tränen zurückhalten, als er die Zügel auf den Rumpf des Pferdes klatschen ließ und der Wagen mit einem Ruck anrollte. Erst im vergangenen Jahr hatte er seine alte Stute Bailey verloren. Er hatte sie damals tot am Damm aufgefunden. Er hatte ihre kalte, braune Schnauze gestreichelt und eine Strähne ihrer hellen Mähne abgeschnitten. Als Nächstes würde er Kelpie verlieren.
»Also auf nach Ungarie«, verkündete er und verstummte danach.
Während der Wagen über die felsige Straße rumpelte, erinnerte sich Jack an das schmerzvolle Adieu, mit dem er sich erst eine Woche zuvor von Moss verabschiedet hatte. Charles King, der Mann, der die junge Kelpie so meisterhaft durch die Wettbewerbe geführt hatte, lebte mittlerweile auf Gainbill nahe dem Lake Cargelligo. Er hatte sich erboten, Moss aufzunehmen und ihn als Zuchtrüden zu behalten. Die Welpen von Moss und der jungen Kelpie hatten einen so guten Ruf, dass aus dem ganzen Land Hunde aus ihrer Nachkommenschaft nachgefragt wurden. Jack wusste, dass es besser war, Moss nicht durchs Land zu zerren und seine Gene aufs Geratewohl mit denen der Hündinnen auf den verschiedenen Stationen zu vermengen, sondern ihn an einem festen Platz zu belassen, damit seine Abstammungslinien nachvollzogen werden konnten und all seine Nachkommen schriftlich als »King’s Kelpies« geführt werden konnten. In dieser Hinsicht war King penibel.
Charles hatte den
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