Australien 03 - Tal der Sehnsucht
Jetzt komm.«
Widerwillig folgte Rosemary ihrer Mutter die Treppe hinunter, vorbei an den Porträts längst verblichener Familienmitglieder. Als sie an den Bildern vorbeiging, schienen die toten Augen sie zu verfolgen.
In der Kirche starrte Rosemary reglos auf die blauen und weißen Agapanthus, die in einer hohen Urne vor der Kanzel standen. Sie schluckte einen schmerzlichen Kloß in ihrem Hals hinunter. Ihre Mutter saß leise schluchzend neben ihr. Gerald saß neben seiner Frau, das graue Haar mit Gel geglättet und mit Tränen in den Augen. Den ganzen Gottesdienst hindurch starrte er zu dem Buntglasfenster mit Christus am Kreuz empor. Julian hatte die gleiche Position eingenommen wie sein Vater. In der Bank vor ihnen saß Sams Mutter Elizabeth. Normalerweise war sie eine strenge, aufrechte, präzise Frau, aber heute hing sie zusammengesunken im Arm ihres Mannes. Rosemary sah unauffällig auf Marcus, Sams Vater. Er war Sam so ähnlich, dass sie das Bedürfnis spürte, über die Banklehne zu springen und seine kräftigen braunen Hände zu ergreifen. Aber als er sich umdrehte und sie traurig ansah, erkannte sie, dass er keineswegs Sam war. Sam lag tot in dem Sarg, der vor ihnen auf der Rollbahre stand.
Als sie in die Kirche gekommen waren, hatten alle Trauergäste Sams Eltern Trost gespendet, sie in die Arme genommen und ihnen leise ihr Mitgefühl ausgesprochen. In Rosemarys Nähe war niemand gekommen. Ihr hatten die Leute nur traurige Blicke zugeworfen, und dann waren sie weitergegangen. Was wussten die anderen wohl, rätselte Rosemary. Das Bild von Sam und Jillian, die nach dem Rennen auf dem Sattelplatz zusammengestanden hatten, blitzte in ihrem Geist auf. Rosemary schluckte ein Schluchzen hinunter und blickte auf das glänzende Holz von Sams Sarg. Sie wollte bei diesem endgültigen Abschied Liebe für ihn empfinden, aber stattdessen empfand sie nur den Griff der Angst und einen unseligen Verdacht, der jeden Gedanken verdüsterte.
Hinterher hielt sie, wie betäubt vor der Kirche in der Hitze stehend, in der herausströmenden Menge nach Dubbo Ausschau. Aber sie konnte ihn nirgendwo entdecken.
»Wo ist Dubbo?«, fragte sie ihre Mutter.
»Immer noch im Krankenhaus«, war die knappe Erwiderung.
Rosemary rätselte, ob Dubbo wohl zu der Beerdigung gekommen wäre, wenn er gekonnt hätte. Sein bester Freund war tot, und er hatte den Wagen gefahren, in dem er umgekommen war. Hätte er gewagt, hier aufzutauchen? Rosemary spürte, wie ihre Haut vor Zorn auf Dubbo kribbelte, und begann wieder zu weinen. Ihr einzigartiger Sam war tot.
Die Trauergäste blieben nicht lang bei den Clubsandwiches ohne Rinde und dem Tee in den dünnen Porzellantassen, die nach der Beerdigung im Heim der Chillcott-Clarks gereicht wurden. Sie unterhielten sich gedämpft, legten Marcus und Elizabeth beruhigend die Hand auf und verschwanden so bald und so unauffällig wie möglich aus dem riesigen alten Kasten. Rosemary saß aufrecht auf dem Sofa und fuhr mit den Fingern die Mulden und Falten in den braunen Lederpolstern nach. Als ihr Blick auf den kunstvoll geknüpften Teppich zu ihren Füßen fiel, verschwamm das Bild in Tränen. Auf diesem Teppich hatten sie und Sam sich das erste Mal geliebt. Sie hatte die weiche Wolle in ihrem Rücken gespürt, während Sam den Rock über ihre Taille geschoben und ihr die Bluse vom Leib gezogen hatte.
»Keine Angst, Rose. Vertrau mir.« Im nächsten Moment hatte sie gespürt, wie der Gummi des Kondoms an ihrer Haut rieb, und während Sam mit immer kräftigeren Stößen in sie eindrang, hatte sie die Zähne zusammengebissen und nach hinten und oben geschaut. Ihr Blick hatte sich mit dem unbeseelten, glasigen Blick eines Hirsches gekreuzt, dessen Kopf über dem Marmorkamin aufgehängt war.
Nachdem Sam fertig gewesen war, hatte er ihr erklärt: »Pass auf Mums Teppich auf, Pooky. Er ist aus England, verstehst du?« Rosemary hatte sich ein Kichern verkneifen müssen. Ehrlich gesagt hatte sie sich ihr erstes Mal ein wenig anders vorgestellt, aber dafür war Sam hinterher besonders nett zu ihr gewesen und hatte ihr ein selbst gemachtes Eis mit glasiertem Ingwer gebracht. Sie hatten sich auf der Couch zusammengekuschelt, Eis gegessen und einander angelächelt.
Jetzt kam Marcus Chillcott-Clark und setzte sich zu ihr auf die Couch. Sie hatte den Kopf zur Seite gedreht und versucht, den Hirsch wie damals kopfüber zu sehen.
»Wie hältst du dich?«
»Ehrlich gesagt weiß ich es selbst nicht«, antwortete sie
Weitere Kostenlose Bücher