Australien 03 - Tal der Sehnsucht
Tante einen Kuss. Dann trat Gerald vor und drückte Giddys Hand.
»Danke, dass du gekommen bist«, sagte er und gab ihr einen Abschiedskuss auf die Wange. Er hielt ihre Hand, bis sie den Wagen anrollen ließ.
»Frohe Weihnachten«, sagte er leise, als er ihre Hand losließ.
Die Worte ihrer Tante ließen Rosemary keine Ruhe, und so beschloss sie schließlich, sich nicht länger auf dem Familiensitz versteckt zu halten. Nach dem zweiten Weihnachtsfeiertag kehrte sie an ihren Schreibtisch beim Chronicle zurück. Sie fühlte sich wie ein Soldat, der von der Front zurückgekehrt ist.
»Du brauchst wirklich nicht schon wieder zu arbeiten, Rose«, sagte Duncan und schaute zwischen den Bergen auf seinem Schreibtisch zu ihr herüber. »Zwischen Weihnachten und Neujahr ist hier sowieso der Hund begraben, und du brauchst bestimmt noch Zeit zum Trauern.«
»Nein, es geht schon«, widersprach Rosemary fest, ehe sie sich über ihren Computer beugte.
Duncan zuckte mit den Achseln. Er lebte schon lange genug im Distrikt, um zu wissen, dass es klug war, sich mit Frauen wie Margaret Highgrove-Jones gut zu stellen. Darum hatte er Margarets Tochter, ohne zu zögern, eingestellt, obwohl sie keine Erfahrung vorweisen konnte. Während der letzten Jahre war er richtig froh gewesen, Rosemary um sich zu haben, dachte Duncan. Sie war auf eine fast jungfräuliche Art hübsch. Er rätselte, ob sie wohl tatsächlich noch Jungfrau war. Dann gab er sich im Geist eine Ohrfeige. Seine Frau war seit acht Monaten weg, und er hatte das Gefühl, langsam durchzudrehen. Er beschloss, seine erotischen Gedanken strikt auf Rosemarys Mutter zu beschränken. Duncan empfand Margaret als beängstigende Frau, aber er schaute sie gerne an. Sie roch immer so teuer und sah aus wie ein Exmodel. Wieso fühlte er sich immer zu extrem aufwändigen, älteren Frauen hingezogen?, sinnierte er. Seine Frau war genauso gewesen. Obwohl er seiner Frau nie wirklich untreu gewesen war, flirtete Duncan für sein Leben gern. Er hatte sich immer zugute gehalten, dass er genau wie Greg Evans aus Perfect Match aussah. Aber Greg Evans’ Glanzzeit war längst vorüber. Seither suchte Duncan, mittlerweile unbeweibt, Trost im Essen. Infolgedessen drohte sein Bauch, seine Hosen zu sprengen, und unter seinen Augen hingen dicke Säcke, nach allzu vielen Abenden mit Scotch vor dem Fernseher.
Den ganzen Vormittag über war Duncans Blick immer wieder auf Rosemary zu liegen gekommen. Er fragte sich, ob sie die ganze Wahrheit über Sams Tod wusste. Außer ihr schien jeder im Ort Bescheid zu wissen.
Rosemary ging den Stapel von Fotos durch, die sie während des Rennens geschossen hatte. Ihr Auge fiel auf das Foto von Sam und Oakwood. Sams so hübsches Gesicht. Sie konnte immer noch seinen Schweiß und den des Pferdes riechen. Tränen traten ihr in die Augen. Wütend wischte Rosemary sie mit dem Handrücken weg. Sams Bild verfolgte sie Tag für Tag. Sam nach dem Rennen auf dem Sattelplatz, die eine Hand auf Jillian Rogers’ Schulter. Sie wirbelte auf ihrem Stuhl herum und sah Duncan an. Ihre blauen Augen blickten direkt in seine.
»Ich mache heute länger Mittagspause, Duncan. Ist das okay?«
Ihre direkte Art brachte ihn kurz aus der Fassung. Er hatte das Gefühl, dass sie ihn nicht wirklich gefragt, sondern eher informiert hatte.
»Unbedingt«, antwortete Duncan. »Du weißt genauso gut wie ich, dass hier nicht die Bohne zu tun ist.« Noch bevor er ausgesprochen hatte, hatte Rosemary ihre Handtasche geschnappt und war auf dem Weg zur Tür.
Die Luft schien zu glühen. Statt die Klimaanlage im Volvo aufzudrehen, rollte Rosemary das Fenster nach unten und ließ ihren Bubikopf vom heißen Wind verwuscheln, während sie in Richtung Hamilton fuhr. Das Radio war auf den Landfunk eingestellt, aber sie drehte auf der Skala über das statische Rauschen hinweg, bis sie Musik gefunden hatte. Es war ein Song von Alanis Morissette. Rosemary drehte die Lautstärke auf, bis sie den Bass im Magen spürte. Der wütende Text befeuerte ihren eigenen schwelenden Zorn, und sie stellte sich mit zusammengebissenen Zähnen Sam und Jillian zusammen in Dubbos Pick-up vor. Den Fuß aufs Gaspedal gestemmt, übertrat sie zum ersten Mal in ihrem Leben die vorgeschriebene Geschwindigkeit.
Auf dem Krankenhausparkplatz stellte Rosemary den Wagen schräg vor einem Schild mit der Aufschrift »Behindertenparkplatz« ab. Noch bevor sie die Tür zuknallte, rätselte sie, warum es keine
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