Australien 03 - Tal der Sehnsucht
Amanda: »Nenn mir die drei Dinge, die du am liebsten hast. Ganz schnell.«
»Was?« Rosie wunderte sich, was das sollte.
»Komm schon. Drei Dinge«, wiederholte Amanda und zielte dabei lässig mit dem Küchenmesser auf sie.
Rosie lehnte sich stirnrunzelnd zurück. Ein paar Sachen kamen ihr sofort in den Sinn… Gärtnern? Essen geben? Dekorieren? Aber natürlich hatte ihr vor allem ihre Mutter eingeschärft, dass sie sich dafür interessieren sollte. Sie verzog das Gesicht, weil ihr aufging, wie wenig sie über sich selbst wusste. Weil ihre Mutter jeden ihrer Gedanken beherrschte.
»Mir fällt nichts ein«, gestand sie und rümpfte die Nase.
»O doch. Streng dich an«, sagte Amanda, während sie sich mit dem Öffner rund um eine Riesendose mit roten Beten vorarbeitete. Rosie dachte noch mal nach.
»Das Scheren!«, sagte sie plötzlich. »Aus irgendeinem Grund freue ich mich jedes Jahr darauf, obwohl mich Dad immer wieder aus dem Stall jagt, weil ich stattdessen beim Kochen helfen soll… aber ich liebe den Lärm und den Geruch beim Scheren. Jedes Mal versuche ich, es so hinzudrehen, dass ich das Vesper in den Stall bringen kann, und dann bleibe ich, so lange ich kann, bis Mum einen Anfall kriegt, weil ich die Schüsseln und den Korb nicht rechtzeitig zum Abwaschen zurückbringe.« Rosie seufzte und dachte noch mal nach.
»Dann den Hunden beim Arbeiten zuschauen. Das liebe ich. Wir hatten im Lauf der Jahre ein paar Treiber, die wirklich tolle Hunde hatten. Natürlich gibt es auch Treiber, die zu nichts zu gebrauchen sind… deren Hunde jedes Mal hinten auf den Pick-up scheißen und wie blöd bellen, bis die Männer sie mit ihrem Gürtel bis aufs Blut prügeln. Aber die Männer mit guten Hunden… o Mann, die beobachte ich zu gern, wenn sie in den Pferchen arbeiten. Und dann sind da noch die Schafe. Ich kann gar nicht genug davon kriegen, wenn ich sehe, wie sie abends ans Wasser ziehen oder wie begeistert sie fressen, wenn sie auf eine neue Weide verlegt wurden, vor allem schau ich ihnen gern zu, wenn sie denken.«
»Denken?« Amanda sah sie zweifelnd an. »Du willst mir erzählen, dass Schafe denken?«
»Aber ja. Natürlich denken sie. Wenn du ihnen zuschaust und sie nicht merken, dass du da bist. Du weißt schon… den Blick, den sie dann bekommen, so als würden sie denken. Ich bin überzeugt, dass Schafe wirklich denken. Wenigstens denke ich, dass sie denken… denke ich doch?«
Rosie schüttelte den Kopf. »Jedenfalls sind das alles Dinge, die ich liebe… ach, und… ich liebe die Hügel rund um Highgrove. Ich liebe es, wie sie von der Sonne zum Leuchten gebracht werden und wie sich die Bäume in den Mulden und auf den Kuppen zu grünen Mustern ballen.«
»Sehr schön«, sagte Amanda und lächelte sie an. »Hört sich an, als wärst du dazu geboren, auf dem Land zu leben, das du liebst … als Viehtreiber und Schafhirt.«
»Viehtreiber?«
»Genau.«
»Aber Dad hat noch nie weibliche Treiber geduldet. In unsere Quartiere dürfen ausschließlich Männer.«
»Das ist, als würde man sagen, dass nur Frauen in die Küche dürfen«, kommentierte Amanda.
»Außer der Mann nennt sich Chefkoch.«
»Selbst dann überlässt er den Abwasch den Frauen.«
»Das nervt, wie?«, sagte Rosie.
»Nur wenn du es zulässt. So muss es nicht sein. Du musst dich nicht an diese Regeln halten. Andrew und ich teilen alles. Heute habe ich Küchendienst, morgen Andrew, und jeden dritten Tag kommt Christine, seine Mum. Sie hat ihn dazu erzogen, alle Hausarbeiten zu erledigen.«
»In unserer Familie käme das nicht in Frage! Ich durfte nie irgendwelche Männerarbeiten erledigen. Nie. Mum braucht immer jemanden, der ihr im Haus hilft oder im Garten oder bei ihren ›gesellschaftlichen Verpflichtungen‹.«
Rosie verdrehte die Augen.
»Dad ist keinen Deut besser. Die Arbeit auf der Station ist nichts für mich, meint er, die macht ausschließlich Julian. Ich gehöre nicht auf die Weiden, das gibt er mir deutlich zu spüren. Und ich schätze, irgendwie hat Sam das genauso gesehen… komisch, aber mir war gar nicht aufgefallen, wie unnachgiebig er in diesen Dingen war. Er hat mich kaum je über seinen Grund geführt. Als würde er annehmen, dass mich das sowieso nicht interessiert.«
»Dabei könntest du echte Leidenschaft für die Landarbeit und die Tiere entwickeln«, sagte Amanda. »Und ein Leben ohne Leidenschaft ist eigentlich kein Leben. Warum lässt du dir von anderen Menschen diktieren, was du zu tun oder zu lassen
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