Australien 03 - Tal der Sehnsucht
Tochter von Gerald und Margaret.
Plötzlich fühlte sie sich wie eine Schiffbrüchige auf hoher See. Das Tau, das sie bis jetzt mit einem stolzen, mächtigen Schiff verbunden hatte, war gekappt, und sie wurde abgetrieben. Mutterseelenallein. Sie schluckte ihre Übelkeit hinunter. Inmitten des Chaos in ihrem Kopf fühlte Rosie eine mächtige Frage aus den Wogen auftauchen. Wer dann? Wer ist dann mein Vater? Sie war wie gelähmt. Sie konnte sich nicht mehr rühren, sie spürte nicht einmal Julians Hand auf ihrer Schulter. Sie sah nur noch die rot geränderten Augen ihrer Mutter, aus denen Tränen über Tränen strömten. Rosie sah ihre Mutter an und schluckte mühsam.
»Und wer ist mein Vater?«
»Das weiß ich nicht«, schluchzte Margaret.
» Das weißt du nicht?« Rosie glaubte sich verhört zu haben.
Margaret schüttelte den Kopf und kniff mit aller Macht die Augen zu. »Es hatte nichts zu bedeuten! Gar nichts! Es war nur ein Unfall. Ich kann nicht darüber sprechen, Rosemary. Das wird mir zu viel.«
»Aber Mum!«
»Es tut mir Leid! Das wird mir zu viel! Erst muss ich Gerald finden!«
Margaret floh aus dem Zimmer. Wie versteinert sah Rosie Julian an. Sie las Mitleid und gleichzeitig tiefe Angst in seinem Gesicht. Er breitete die Arme aus, um sie zu trösten, aber sie stieß ihn zurück.
»Nein!«, sagte sie. »Lass mich in Ruhe!« Sie hielt es keine Sekunde länger in diesem Haus aus.
Rosies Schädel pochte, als sie das schwere Eichentor an den Ställen zuzog und Atem schöpfte. Die Felle der Tiere glänzten unter der Stallbeleuchtung. Die Hunde schnüffelten an ihren Hosenbeinen, als sie sich zwischen ihnen niederließ.
»Hallo«, sagte sie mit Tränen in den Augen, während sie mit den Fingern über die schlanken Rücken strich. »Erst mache ich eure Box sauber, dann bringe ich euch was zu essen. Und morgen früh machen wir einen Ausflug.«
Die Hunde stellten die Ohren auf und blickten schwanzwedelnd zur Stalltür.
»Jetzt nicht«, vertröstete Rosie sie mit belegter Stimme. »Ihr müsst noch warten.« Beim Wort »Warten« hörten die Ruten wie auf Kommando auf zu wedeln.
Die Gefühle drohten sie zu überwältigen. Sam hatte seine Hunde exzellent ausgebildet. Sie wünschte, er wäre jetzt bei ihr und würde ihr sagen, was sie tun sollte. Dann spürte sie einen schmerzlichen Stich, weil ihr klar wurde, dass ihn das Geständnis ihrer Mutter schwer getroffen hätte. Sie schluckte ihre Tränen hinunter und kämpfte gegen ihre Angst an. Sie musste stark bleiben.
Um sich abzulenken, konzentrierte sie sich auf Sams Tiere. Sie brauchten sie. Sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Um die Pferde zu füttern, würde sie zu ihnen in die Boxen müssen, vor dieser Vorstellung graute ihr. Das waren nicht die zotteligen Ponys, mit denen sie im Pony-Club gespielt hatte. Ihr Blick wanderte zu den großen Pferden in ihren Boxen hinüber. Wenn nur jemand da gewesen wäre, um ihr zu helfen, aber ihr Vater hatte erst diesen Monat den letzten Stallarbeiter entlassen. Und zwar nachdem ihre Mutter verkündet hatte, dass der Stallbursche keine fremden Frauen aus der Stadt auf ihre Station mitbringen dürfe.
Puh, dachte Rosie jetzt, ihre Mutter hatte gut reden. Rosie musste daran denken, wie der Stallarbeiter Margaret angesehen hatte, die sich kerzengerade, hoheitsvoll und stolz vor ihm aufgebaut hatte. Sie sah von Kopf bis Fuß nach einer Großgrundbesitzerin aus und gab ihr Bestes, ihn spüren zu lassen, dass er nur ein einfacher Tagelöhner war. Aber dieser Kerl hatte schon öfter mit Frauen wie ihr zu tun gehabt und ihr genüsslich erklärt, dass es sie einen feuchten Dreck anging, was er in seiner Freizeit mit fremden Frauen anstellte. Dann hatte er mit einem gehässigen Grinsen gesagt: »Wenn Sie mich fragen, sind Sie nur eifersüchtig, Mrs H-J. Bringt es Ihr Alter nicht mehr, oder was?«
Danach hatte Gerald kaum noch eine Wahl gehabt, und so hatte ein weiterer Arbeiter seine Sachen zusammengepackt und war zum letzten Mal von der Highgrove Station weggefahren.
Rosie trat an die Futterschütten am Ende des Stalls. Sie hob die schweren Klappen an, schaute in jede hinein und rätselte, welches Getreide wohl in welcher Schütte lag und welche Spreu wohin gehörte.
»Bring es einfach hinter dich, Rosie«, ermahnte sie sich ärgerlich und ließ gleich darauf mit einem Aufschrei die Klappe fallen, weil eine Maus über ihren Handrücken gehuscht war. Rosie atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und beugte sich mit
Weitere Kostenlose Bücher