Australien 03 - Tal der Sehnsucht
aufregt.«
Rosie presste das Kissen auf ihren Kopf.
»Komm schon, Rosie«, bettelte Julian sie an. »Komm wieder ins Haus. Bitte?« Er zog an ihrem Arm, aber sie wand sich aus seinem Griff.
»Nein! Auf keinen Fall gehe ich da wieder rein!«
»Hör zu, ich weiß nicht, ob es dir hilft, aber ich bin genauso geschockt. Ich möchte auch nicht mit den beiden in einem Haus sein.«
»Aber du bist Dads goldener Junge. Jetzt erst recht.« Rosie setzte sich auf.
»Ach, Rosie, wenn du wüsstest.« Plötzlich klang Julian todmüde. »Wie oft ich ihm am liebsten eins über den Schädel gezogen hätte und wie oft ich Mum gern erklärt hätte, was sie sich alles wohin schieben kann. Ich weiß wirklich nicht, warum ich diese Scheiße so lange mitgemacht habe. Und jetzt, nach dieser frohen Kunde, dass Mum einen Fehltritt hatte und du … also, das ist total seltsam.« Er verstummte und sagte nach einer Weile leise: »Es tut mir Leid, dass sie dir so wehgetan haben.«
Rosie begann wieder zu weinen, und Julian zog sie an seine Brust. Er hielt sie fest, während Rosie allmählich begriff, welche Konsequenzen die Eröffnung ihrer Mutter hatte.
Nach einer Weile wischte sie sich die Augen trocken und sah zu Julian auf.
»Hilfst du mir, von hier wegzugehen?«, fragte sie.
»Aber sicher. Wohin denn? Auch egal. Du brauchst es nur zu sagen.«
»Auf die Farm. Hierher. Ich möchte von jetzt an hier wohnen. «
»Na dann komm.« Julian zog sie vom Bett hoch. Sie schlichen ins Haus, behutsam über alle knarrenden Dielen hinwegsteigend. Gemeinsam stopften sie Rosies Habseligkeiten in einen Rucksack, sammelten Handtücher und Bettzeug zusammen und schlichen, zusätzlich beladen mit Duncans Bücherkiste, die Treppe wieder hinunter.
Während der alte Wasserkessel in der Ecke der Unterkunft klapperte, spülte Julian die angeschlagenen Emailbecher aus. Rosie schüttelte die Kissen auf und stellte den Wecker auf den Nachttisch.
»Bitte sehr«, sagte Julian und reichte ihr einen Becher mit gezuckertem Tee. »Ich habe noch einen Schuss Rum reingegeben, den ich aus Mums Schnapsschrank abgezweigt habe. Sie wird ihn nicht vermissen.«
»Danke«, sagte Rosie, nahm die Tasse und setzte sich damit an den Küchentisch.
»Geht es wieder?«, fragte Julian.
»Sicher, es wird schon gehen. Und was ist mit dir?«
»Mir geht es gut. Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir … du weißt schon… warum sie immer so verkniffen sind. Ich dachte immer, das wäre eben so, wenn man verheiratet ist. Aber zwischen den beiden liegt schon seit langem manches im Argen.«
»Gehst du wieder rein?«, fragte Rosie. »Oder willst du hier unten auf einem Schlafsack oder so schlafen?«
Julian schüttelte den Kopf.
»Ich kann damit umgehen. Ich habe eigene Pläne. Du wirst schon sehen.«
Rosie lächelte. »Dann sehen wir uns morgen bei der Arbeit.«
»Hundertprozentig«, bestätigte Julian. »Du könntest mit Oakwood rausreiten und nach der Herde sehen. Das wäre mir eine echte Hilfe.« Dann lächelte er sie liebevoll an und verschwand in der Nacht.
Die Vorstellung, auf Oakwood zu reiten, machte Rosie Angst. Sie vergrub sie tief in ihrem Inneren, gleich neben dem Entsetzen über die Entdeckung, dass Gerald nicht ihr leiblicher Vater war. Stattdessen fasste sie in Duncans Geschichtsbücherkiste.
Rosie setzte sich an den alten Küchentisch in der Arbeiterunterkunft mit den eingeschnitzten Namen von Arbeitern aus längst vergangener Zeit, um zu lesen. Sie versuchte nach Kräften, sich in der Geschichte zu verlieren, die in diesen Seiten enthalten war. Im Moment war es wesentlich besser, das Leben anderer Menschen auszuforschen, als sich mit ihrem eigenen zu beschäftigen.
Alberts Stallungen, Codrington, 1861
Jack Gleeson sprach leise auf Bailey ein, während die Bürste im ersten Morgenlicht über ihr Fell strich. Er ließ sie am Sattel und an der Decke schnuppern, ehe er beides auf ihren Rücken legte. Als er den Sattelgurt anzog und die Steigbügel herunterließ, dachte er voller Wehmut an Albert. Wo über Jahre hinweg die Schnalle eingerastet war, war das Loch schon ausgeleiert und geweitet. Jack zog das Zaumzeug über den Kopf der Stute und stieg dann leicht in den Sattel. Es war ein eigenartiges Gefühl, so als würde er in die ausgetragenen Schuhe eines anderen steigen, aber Jack wusste, dass sich Alberts Sattel im Lauf der Zeit wie ein Handschuh an seinen Körper anschmiegen würde.
Bailey blieb geduldig stehen, als er abstieg, um sein
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