Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
es in der Spüle aufzustapeln.
»Du bist ein braves Mädchen, Emily, aber das übernehme ich schon. Geh du zu deiner Familie. Genieß den Tag.«
»Ein Teil von mir wünscht sich, dass dieser Tag nie zu Ende gehen möge. Und gleichzeitig weiß ich, dass uns nur noch diese paar Tage bleiben, dann ist alles aus.«
»Denkst du wieder negativ?«
»Ach, Evie! Irgendwie laufen mir die Gedanken immer wieder davon.« Es war keine leichte Sache, eine bald arbeitslose Viehtreiberin zu sein, dachte Emily, wenn vor ihr nur eine endlos lange staubige Straße lag, auf der die Gedanken jederzeit durchbrennen konnten.
»Du brauchst Zeit, Liebes.«
»Zeit wozu?«
»Um deine Verletzungen auszuheilen. Du siehst ja, dass Snowgum sich noch nicht wirklich erholt hat. Tja, bei dir ist das nicht anders.«
»Und was sollte ich deiner Meinung nach tun?«
»Geh dorthin, wohin dich dein Herz und deine Seele ziehen.«
»Wieder hoch in die Berge, meinst du?« Evie nickte. »Über den Winter?«
Emily hatte Fotos gesehen, auf denen ihre Vorfahren vor dem Farmhaus auf der Hochebene standen, mit Schneeschuhen an den Füßen, so als hätten sie sich auf ein Paar Tennisschläger gestellt. Schon beim Anblick der Bilder hatte sie gebibbert, weil die Menschen darauf nur dünne Mäntel und Jacken über ihren normalen Kleidern getragen hatten, aber das Lächeln der Menschen auf den Fotos hatte eine ganz eigene Art von Wärme ausgestrahlt. Emily malte sich aus, wie sie dort mit ihren Töchtern überwintern und auf Skiern oder Schlitten zu Evies kleiner Hütte herabfahren würden.
»Es ist machbar, und es würde dir guttun.«
Emily überlegte, ob sie einen Winter auf der Hochebene überstehen würden. Es war bestimmt hart, aber nicht härter, als in dem winzigen Ort Dargo zu wohnen und sich jeden Tag zu fragen, ob ihr Luke über den Weg laufen würde. Oder ob sie vielleicht mit einer hochschwangeren Penny zusammenstoßen würde, falls sie sich bis nach Bairnsdale wagte. Sie hatte keine Ahnung, was sie Clancy antun würde, falls sie ihm begegnete. Sie glaubte, dass sie dank Evies unermüdlichem Training den Zorn verarbeitet hatte, den er durch die vielen ihr zugefügten Betrügereien und die Enttäuschungen geschürt hatte. Aber sie war immer noch wütend auf ihn, weil er sich nicht um seine Töchter kümmerte. Sie sah ihnen an, wie sehr er sie damit verletzte. Emily fragte sich, ob Tilly vielleicht aufhören würde, auf einen Besuch ihres Vaters zu warten, wenn sie oben in den Bergen überwinterten, denn das wäre im Schnee schlicht nicht möglich. Evie setzte sich zu ihr.
»Dir geht noch etwas anderes im Kopf herum, nicht wahr?«
Emily nickte.
»Ein Mann? Zwei Männer? Der alte und der neue?«
Sie nickte wieder.
»Solange du dich nicht selbst lieben kannst, ist es nicht klug, jemand anderen lieben zu wollen. Erst müssen deine Wunden verheilt sein, Liebes, dann kannst du wieder lieben.«
»Ich weiß«, erklärte ihr Emily. »Tief im Herzen weiß ich das.« Sie blickte in Evies Augen und empfand ein so umfassendes Vertrauen, dass sie ihr unversehens zu erzählen begann, wie sie mit Luke am Wonnangatta River gelegen und das unheimliche Gewieher der galoppierenden Pferde gehört hatte.
»Was hat das zu bedeuten, Evie?« Wieder bebte Emilys Stimme.
Evie lächelte. »Es bedeutet, dass ihr beide über eine seltene Gabe verfügt. Dass eure Vereinigung Energien freigesetzt hat. Pferde stehen für Freiheit.«
Emily zog verwirrt die Stirn in Falten. »Aber die Energie fühlte sich dunkel an.«
»Du weißt doch, dass es im Wonnangatta einen Mord gab und dass der Verwalter der Farm auf seinem Pferd zu Tode gehetzt wurde?«
Emily kannte die Legenden, die sich um die Farm rankten, aber sie hatte die beiden Vorfälle nicht in Verbindung gebracht. Sie schauderte.
»Du teilst dir mit Luke eine besondere Kraft. Vereint bildet sie eine ungeheuer starke, helle Energie, die das Dunkel herauszieht und es vertreibt.«
»Wir sollten also zusammenbleiben?«
Evie schüttelte den Kopf. »Zuerst brauchst du Selbstliebe als Anker, an dem du deine Liebe festmachen kannst. Und vor allem brauchst du Zeit, Emily. Dir und Luke ist eine andere Zeit bestimmt.«
Aus dem Flur hörten sie Sam rufen: »Zeit zum Aufbruch, ihr Schwatzbasen!«
Evie schloss Emily schnell in die Arme, dann lief Emily los durch den Flur, von Trauer erfüllt, dass sie und Luke nicht füreinander bestimmt waren. Jedenfalls nicht jetzt.
31
Am letzten Tag des Viehtriebs goss es wie aus Kübeln.
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