Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
Statt über das Wetter zu fluchen, nahm Emily die tiefen grauen Wolken und die schweren silbernen Regenfäden als Geschenk. Ein ausgiebiger Herbstregen würde ihnen den Winter im Tiefland erleichtern. Aber sie wusste, dass eine einzige längere Trockenperiode auf ihren ehemaligen Weidegebieten ausreichen würde, um im nächsten Sommer unter entsprechenden Bedingungen schreckliche Brände auszulösen. Wie schon unzählige Male zuvor versuchte Emily die Sorgen um ihre geliebten Berge auszublenden.
Sie hatten nur noch ein paar steile Kurven zu bewältigen, und sie ritt allein hinter der Herde her, wo niemand sie ablenkte. Denk positiv, ermahnte sie sich.
Die Rinder bewältigten den Viehtrieb gut. Ihr Vater ritt voraus durch die weit geschwungene Kurve. Er ritt einerseits nah genug an der Leitkuh, um sie lenken zu können, andererseits aber so weit vor der Herde, dass er den entgegenkommenden Verkehr warnen konnte. Es war angenehm, dass sie heute nur zu zweit waren. So konnte Emily die letzten Stunden des Viehtriebs in aller Ruhe genießen. Nur sie, ihr Dad und der Segen spendende Regen.
Sam, der das Viehtreiben nur sporadisch ertrug, hatte sich schon vor einigen Tagen abgesondert, um zu Bridie zu fahren, weil er es kaum erwarten konnte, seine unterwegs komponierten Songs zu Papier zu bringen. Evie kümmerte sich in Tranquility um die Mädchen und bereitete für alle ein Festmahl vor, um das Ende des Viehtriebs zu feiern. Emily und Rod würden am Nachmittag mit ihrer Herde durch das Zentrum von Dargo reiten und sie dort auf eine umzäunte Weide treiben. Danach erwartete sie ein üppiges Mahl vor dem Kamin.
Regenbäche rannen aus ihrer Hutkrempe und stürzten in kleinen Wasserfällen auf den Rücken ihrer Öljacke. Sie trug wasserdichte Hosen, aber unter ihrem Regenzeug war sie völlig durchnässt, und die Kleidung lag dampfig auf ihrer Haut. Immerhin waren ihr Leib und ihre Glieder warm geblieben. Zwischendurch hatte es so stark geregnet, dass ein paar Kühe stehen geblieben waren, ihre Ohren angelegt und sich umgedreht hatten, um sie anzusehen, als wollten sie fragen: »Seid ihr verrückt geworden? Wie könnt ihr uns in diesem Wetter treiben?« Sie hatte die Frage mit einem lauten Schnalzen ihrer Peitsche beantwortet. Die Leitkühe hatten einen Satz gemacht und gemuht, bevor sie gehorsam weitermarschiert waren.
Der Regen prasselte so laut, dass Emily das von hinten kommende Fahrzeug erst hörte, als es sie praktisch eingeholt hatte. Der Wallach tänzelte zur Seite, als der weiße Geländewagen unvermutet in seinem Blickfeld auftauchte, aber sie brachte ihn schnell wieder zur Ruhe.
Emily holte tief Luft. Das bunte VPP -Logo auf der Tür des Geländewagens leuchtete durch den Regen. Das knallige Grün wirkte unpassend vor dem durchnässten Buschland um sie herum. Sie lenkte ihr Pferd ans Fahrerfenster. Luke ließ die Scheibe hinunter und runzelte kurz die Stirn, als der Regen ins Wageninnere spritzte.
»Hi«, sagte er. »Nass genug da draußen?«
Emily betrachtete sein hübsches Gesicht. Er trug das Haar jetzt kurz und sah in seiner kakifarbenen Uniform fast aus wie ein Soldat. Er war ein Bild von einem Mann, trotzdem schnürten ihr Trauer und Ärger die Kehle zu, wenn sie ihn in seiner Ranger-Ausstattung in diesem schicken Geländewagen sitzen sah. Wie sollte sie ihn lieben, wenn er für genau die Organisation arbeitete, die gerade ihr ganzes Leben aus dem Gleis geworfen hatte?
Bis jetzt hatte noch niemand den Mut aufgebracht, die Flanaghans direkt auf das Verbot anzusprechen. Stattdessen war das Leben, das sie bis dahin gekannt hatten, lediglich durch ein paar gewichtige Briefe aus Melbourne ausradiert worden. Die Verantwortung, sie von ihren Bergweiden zu vertreiben, war keiner einzelnen Person übertragen worden. Sie wurde auf unzählige Schultern verteilt, sodass sich jeder hinter den anderen verstecken und behaupten konnte, dass er keine Schuld trug.
»Wolltest du dich mit eigenen Augen überzeugen, dass wir wirklich alle Rinder von den Bergen geholt haben?«, begrüßte Emily ihn kühl. Sie sah, wie Luke erschrak, doch gleich darauf überspielte er seine Reaktion mit einem Lächeln.
»Nein, ich vertraue euch. Ich war gerade unterwegs, um zu prüfen, wie hoch das Wasser steht. Wenn es weiter so regnet, müssen wir vielleicht die Lower Dargo Road schließen.« Er sah kurz zum Himmel auf und dann wieder auf ihr Pferd. »Wie macht er sich?«
»Gut«, sagte Emily. Sie unterdrückte ihren Groll auf Luke und
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