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Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen

Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen

Titel: Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Treasure
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seine Single vor zwei Jahren die Charts erobert hatte und danach sang- und klanglos verhallt war. Der Erfolg hatte ihm nicht genug Rückenwind verschafft, um in jenem Jahr mit der Tamworth Golden Guitar von der Bühne zu spazieren, dem anerkannten Erfolgsbeweis für jeden Newcomer in der australischen Musikszene. Die Enttäuschung war ihm deutlich anzumerken gewesen, und Emily hatte den Eindruck, dass Sams Leben seit jenem Abend Stück für Stück aus den Fugen geraten war. Ganz langsam hatte er sich immer weiter von dem Leben entfernt, das sie früher geführt hatten. Er war in die Stadt abgewandert und hatte sich in einem Strudel aus schönen Menschen, Partys und Hype verloren. Seit zwei Jahren hatte er keinen einzigen neuen Song geschrieben.
    »Was willst du jetzt anfangen, Sam?«
    »Erst mal wieder auf die Beine kommen.«
    »Was nimmst du?«
    »Nur Gras.«
    »Du lügst.«
    Er zuckte mit den Achseln. »In L.A. habe ich auch härtere Sachen probiert. Aber das hat mich echt fertiggemacht.«
    »Hast du auch jetzt was dabei?«
    »Nur ein bisschen Gras.«
    »Gib es mir. Ich verbrenne es.«
    »Spinnst du?« In seinen Augen blitzte es erschrocken auf.
    »Sam«, meinte Emily unnachgiebig, »willst du wirklich wieder auf die Beine kommen?«
    »Klar!«
    »Dann gib es mir gleich morgen früh. Deine ganzen Partypillen, dein Dope, das Gras, was weiß ich – du gehst auf kalten Entzug.«
    Emily sah ihren kleinen Bruder an. Sie hatte gesehen, wie sich Frauen jeden Alters bei seinen Konzerten an die Bühne gedrängt und ihn angehimmelt hatten, als wäre er ein Gottesgeschenk. Vielleicht führte er sich inzwischen auf, als wäre er drei Meter groß und kugelsicher, aber sie konnte immer noch den kleinen Jungen in ihm sehen.
    Außerdem konnte Emily sehen, dass Sam tief in seinem Inneren über eine sehr seltene Gabe verfügte. Als er noch jünger gewesen war, schien die Musik einfach aus ihm herauszusprudeln. Draußen im Dunkeln gab es immer noch jenen Kreis aus geschwärzten Steinen, in dem früher das Lagerfeuer gebrannt und wo die Familie während des Viehtriebs im Sommer zu Abend gegessen hatte. Wieder sah sie vor sich, wie der halbwüchsige Sam in seinem Flanellhemd, die Ärmel bis zu den Ellbogen aufgekrempelt, das klar geschnittene, hübsche Gesicht vom Lagerfeuer beleuchtet, mit seinen kräftigen Fingern eine Melodie auf der Gitarre improvisierte.
    Das Treiberteam, das hauptsächlich aus Verwandten bestand, hatte rundum auf Klappstühlen, Baumstümpfen, Kühlbehältern oder abgerundeten Basaltsteinen gesessen und wie hypnotisiert zugehört, während Sams Musik durch ihre Körper vibrierte. Seine Stimme schien vom schwarzen Himmel über ihnen herabzufließen, gefiltert durch die Sterne und den Lagerfeuerrauch. Es war die Stimme eines starken, kühnen Engels, der unverfälschte Countrysongs sang.
    »Morgen fängst du wieder an, Songs zu schreiben«, erklärte sie ihm. »Du schreibst so viele, dass es für ein Album reicht. Schreib über diesen Fleck hier: über die Rinder, über die Feuer, die uns jedes Jahr in Panik geraten lassen, über den Schnee, über die blöden Bürokraten, die uns ständig im Nacken hocken. Dann rufen wir deinen Manager an, und du nimmst das beste Album aller Zeiten auf. Okay?«
    »Ich werde bestimmt nichts über diesen Fleck hier schreiben, Em. Du weißt genau, was dann passiert. Dann bin ich für die Cattlemen ein verfluchter Held und für die Grünen der Antichrist.«
    Emily schüttelte den Kopf. »Und wenn schon! Das ist dein Erbe.«
    »Ich scheiße auf dieses Erbe!« Er biss die Zähne zusammen. »Ich habe keinen Bock, durch jeden Reifen zu springen, der mir hingehalten wird. Dad und Flo sind noch jedes Mal gesprungen, nur damit sie hier oben ein paar Kühe grasen lassen können.«
    »Es geht nicht nur um ein paar grasende Kühe, das weißt du ganz genau. Sondern darum, dass wir uns so um das Land kümmern, wie es ihm zukommt. Indem wir es beweiden. Roden. Pflegen. Und nicht, indem wir es abkapseln und verwildern lassen und es dann als ›unberührt‹ bezeichnen, so als wäre es unantastbar oder ein riesiges wissenschaftliches Experiment.«
    »Du kannst einfach nicht aufgeben, oder? Du prügelst immer noch auf dasselbe tote Pferd ein.«
    Als Kindern hatte man Emily und Sam beigebracht, wie dieses Land im neunzehnten Jahrhundert von fanatischen Goldsuchern verwüstet worden war und wie es sich seither erholt hatte, so wie Gras über ein Schlachtfeld wächst und die Knochen der Gefallenen bedeckt.

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