Auswahl seiner Schriften
Prüfung, die darin bestand, daß er die Fee, möge sie sich ihm (in gezwungener Verstellung) auch noch so bös und grausam zeigen, nicht ungläubig verstieße. Im Gozzi'schen Märchen wird die Fee nun in eine Schlange verwandelt; der reuige Geliebte entzaubert sie dadurch, daß er die Schlange küßt: so gewinnt er sie zum Weibe. Ich änderte diesen Schluß dahin, daß die in einen Stein verwandelte Fee durch des Geliebten sehnsüchtigen Gesang entzaubert, und dieser Geliebte dafür vom Feenkönig – nicht mit der Gewonnenen in sein Land entlassen –, sondern mit ihr in die unsterbliche Wonne der Feenwelt selbst aufgenommen wird. – Dieser Zug dünkt mich jetzt nicht unwichtig: gab mir ihn damals auch nur die Musik und der gewohnte Opernanblick ein, so lag doch hier schon im Keime ein wichtiges Moment meiner ganzen Entwickelung kundgegeben. –
Ich war nun in dem Alter angelangt, wo der Sinn des Menschen, wenn je ihm dies möglich wird, sich unmittelbarer auf die nächste Lebensumgebung wirft. Die phantastische Lüderlichkeit des deutschen Studentenlebens war mir, nach heftiger Ausschweifung, bald zuwider geworden: für mich hatte das Weib begonnen vorhanden zu sein. Die Sehnsucht, die sich nirgends im Leben stillen konnte, fand wieder eine ideale Nahrung durch die Lektüre von Heinse's Ardinghello, sowie der Schriften Heine's und anderer Glieder des damaligen »jungen« Litteraturdeutschlands. Die Wirkung der so empfangenen Eindrücke äußerte sich im wirklichen Leben bei mir so, wie sich unter dem Drucke unserer sittlich bigotten Gesellschaft die Natur einzig äußern kann. Mein künstlerischer Mittheilungstrieb dagegen entledigte sich dieser Lebenseindrücke nach der Richtung der gleichzeitig empfangenen künstlerischen Eindrücke hin; unter diesen waren von besonderer Lebhaftigkeit die der neueren französischen und selbst der italienischen Oper gewesen. Wie dieses Genre in Wahrheit die deutschen Operntheater eroberte und fast einzig auf ihrem Repertoire sich behauptete, war sein Einfluß auf Denjenigen ganz unabweisbar, der sich in einer Lebensstimmung, wie die angedeutete damals mir eigene, befand; in ihm sprach sich, wenigstens für mich, in der Richtung der Musik ganz Das aus, was ich empfand: freudige Lebenslust in der nothgedrungenen Äußerung als Frivolität. – Aber eine persönliche Erscheinung war es, die diese Neigung in mir zu einem Enthusiasmus edlerer Bedeutung anfachte: dieß war die Schröder-Devrient bei einem Gastspiel auf der Leipziger Bühne. Die entfernteste Berührung mit dieser außerordentlichen Frau traf mich elektrisch: noch lange Zeit, bis selbst auf den heutigen Tag, sah, hörte und fühlte ich sie, wenn mich der Drang zu künstlerischem Gestalten belebte.
Die Frucht all' dieser Eindrücke und Stimmungen war eine Oper: » das Liebesverbot, oder die Novize von Palermo «. Den Stoff zu ihr entnahm ich Shakespeare's »Maaß für Maaß«. Isabella war es, die mich begeisterte: sie, die als Novize aus dem Kloster schreitet, um von einem hartherzigen Statthalter Gnade für ihren Bruder zu erflehen, der wegen des Verbrechens eines verbotenen, und dennoch von der Natur gesegneten Liebesbundes mit einem Mädchen, nach einem drakonischen Gesetze zum Tode verurtheilt ist. Isabella's keusche Seele findet vor dem kalten Richter so triftige Gründe zur Entschuldigung des verhandelten Verbrechens, ihr gesteigertes Gefühl weiß diese Gründe mit so hinreißender Wärme vorzutragen, daß der strenge Sittenwahrer selbst von leidenschaftlicher Liebe zu dem herrlichen Weibe erfaßt wird. Diese plötzlich entflammte Leidenschaft äußert sich bei ihm dahin, daß er die Begnadigung des Bruders um den Preis der Liebesgewährung von Seiten der schönen Schwester verheißt. Empört durch diesen Antrag, greift Isabella zur List, um den Heuchler zu entlarven und den Bruder zu retten. Der Statthalter, dem sie mit Verstellung zu gewähren versprochen hat, findet dennoch für gut, seine Begnadigungsverheißung nicht zu halten, um vor einer unerlaubten Neigung sein strenges richterliches Gewissen nicht aufzuopfern. – Shakespeare schlichtet die entstandenen Konflikte durch die öffentliche Zurückkunft des bis dahin im Verborgenen beobachtenden Fürsten: seine Entscheidung ist eine ernste und begründet sich auf das »Maaß für Maaß« des Richters. Ich dagegen löste den Knoten ohne den Fürsten durch eine Revolution. Den Schauplatz hatte ich nach der Hauptstadt Siziliens verlegt, um die südliche
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