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Auswahl seiner Schriften

Auswahl seiner Schriften

Titel: Auswahl seiner Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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Leidenschaftlichkeit, stand vor mir; und sie nicht etwa bloß nachzuahmen, sondern, mit rückhaltsloser Verschwendung, nach allen ihren bisherigen Erscheinungen sie zu überbieten, das wollte mein künstlerischer Ehrgeiz. – Dennoch würde ich gegen mich selbst ungerecht sein, wenn ich in diesem Ehrgeize Alles inbegriffen sehen wollte, was mich bei der Konzeption und Ausführung meines »Rienzi« bestimmte. Der Stoff begeisterte mich wirklich, und Nichts fügte ich meinem Entwurfe ein, was nicht eine unmittelbare Beziehung zu dem Boden dieser Begeisterung hatte. Es handelte sich mir zu allernächst um meinen Rienzi, und erst wenn ich mich hier befriedigt fühlte, ging ich auf die große Oper los. In rein künstlerischer Beziehung war diese große Oper aber gleichsam die Brille, durch die ich unbewußt meinen Rienzistoff sah; nichts fand ich an diesem Stoffe erheblich, was nicht durch jene Brille erblickt werden konnte. Wohl sah ich immer ihn, diesen Stoff, und nie hatte ich zunächst bestimmte rein musikalische Effekte im Auge, die ich etwa nur an diesem Stoffe anbringen wollte; nur sah ich ihn nicht anders als in der Gestalt von »fünf Akten«, mit fünf glänzenden »Finales«, von Hymnen, Aufzügen und musikalischem Waffengeräusch. So verwandte ich auch durchaus noch keine größere Sorgfalt auf Sprache und Vers, als es mir nöthig schien, um einen guten, nicht trivialen Operntext zu liefern. Ich ging nicht darauf aus, Duette und Terzette zu schreiben; aber sie fanden sich hie und da ganz von selbst, weil ich meinen Stoff eben nur durch die »Oper« hindurch sah. Im Stoffe suchte ich z. B. auch keineswegs eben nur einen Vorwand zum Ballet; aber mit den Augen des Opernkomponisten gewahrte ich in ihm ganz von selbst ein Fest, das Rienzi dem Volke geben müsse, und in welchem er ihm eine drastische Scene aus der alten Geschichte als Schauspiel vorzuführen habe: dieß war die Geschichte der Lukretia und der mit ihr zusammenhängenden Vertreibung der Tarquinier aus Rom. [Fußnote: Daß diese Pantomime auf den Theatern, die den Rienzi aufführten, ausbleiben mußte, war ein empfindlicher Nachtheil für mich; denn das an ihre Stelle tretende Ballet lenkte die Beurtheilung von meiner edleren Intention ab, und ließ sie in dieser Scene nichts Anderes als einen ganz gewöhnlichen Opernzug erblicken.] So bestimmte mich in allen Theilen meines Vorhabens allerdings stets nur der Stoff, aber ich bestimmte den Stoff wiederum nach der einzig mir vorschwebenden großen Opernform. Meine künstlerische Individualität war den Eindrücken des Lebens gegenüber noch in der Wirkung rein künstlerischer, oder vielmehr kunstförmlicher, mechanisch bedingender Eindrücke durchaus befangen.
    Als ich die Komposition der beiden ersten Akte dieser Oper beendigt, drängte mich endlich meine äußere Lage dazu, vollkommen mit meinen bisherigen Verhältnissen zu brechen. Ohne im Geringsten mit ausreichenden Mitteln dazu versehen zu sein, ohne die mindeste Aussicht, ja ohne nur einen bekannten Menschen dort vermuthen zu dürfen, machte ich mich geradesweges von Riga nach Paris auf. Unter den widerlichsten Umständen ward eine vier Wochen dauernde Seereise zurückgelegt, die mich auch an die Küste Norwegen's brachte. Hier tauchte mir der »fliegende Holländer« wieder auf: an meiner eigenen Lage gewann er Seelenkraft; an den Stürmen, den Wasserwogen, dem nordischen Felsenstrande und dem Schiffgetreibe, Physiognomie und Farbe.
    Paris verwischte mir jedoch zunächst wieder diese Gestalt. – Es ist unnöthig, die Eindrücke näher zu schildern, die Paris mit seinem Kunstwesen und Kunstgetreibe auf einen Menschen in meiner Lage machen mußte; in dem Charakter meiner Thätigkeit und Unternehmungen wird ihr Einfluß am leichtesten wieder zu erkennen sein. – Den zur Hälfte fertigen Rienzi legte ich zunächst bei Seite und mühte mich auf jede Weise, zum Bekanntwerden in der Weltstadt zu gelangen. Hierzu fehlten mir aber vor allem die persönlichen Eigenschaften: kaum hatte ich das Französische, das mir an sich instinktmäßig zuwider war, für das allergewöhnlichste Bedürfniß erlernt. Nicht im Mindesten fühlte ich Neigung, das französische Wesen mir anzueignen; aber ich schmeichelte mir mit der Hoffnung, ihm auf meine Weise beikommen zu können; ich traute der Musik, als Allerweltssprache, die Eigenschaft zu, zwischen mir und dem Pariser Wesen eine Kluft auszufüllen, über deren Vorhandensein mich mein inneres Gefühl nicht täuschen

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