Auswahl seiner Schriften
, mit deren Zuständen ich mich bisher zu befreunden gesucht hatte, als ich in Paris deren glänzendste Spitze aufsuchte. – Das Gefühl der Nothwendigkeit meiner Empörung machte mich zunächst zum Schriftsteller. Der Verleger der Gazette musicale gab mir, neben den Arrangements von Melodieen, um mir Geld zu verschaffen, auch auf, Artikel für sein Blatt zu schreiben. Ihm galt beides vollkommen gleich: mir nicht. Wie ich in jener Arbeit meine tiefste Demüthigung empfand, ergriff ich diese , um mich für die Demüthigung zu rächen. Nach einigen, allgemeineren musikalischen Artikeln, schrieb ich eine Art von Kunstnovelle; »eine Pilgerfahrt zu Beethoven«, mit welcher im Zusammenhange ich eine zweite folgen ließ: »das Ende eines Musikers in Paris«. Hierin stellte ich, in erdichteten Zügen und mit ziemlichem Humor, meine eigenen Schicksale, namentlich in Paris, bis zum wirklichen Hungertode, dem ich glücklicherweise allerdings entgangen war, dar. Was ich schrieb, war in jedem Zuge ein Schrei der Empörung gegen unsere modernen Kunstzustände: es ist mir versichert worden, daß dieß vielfach amüsirt habe. – Meinen wenigen treuen Freunden, mit denen ich in trübselig traulicher Zurückgezogenheit des Abends bei mir mich zusammenfand, hatte ich hiermit aber ausgesprochen, daß von mir vollständig mit jedem Wunsche und jeder Aussicht auf Paris gebrochen, und der junge Mann, der mit jenem Wunsche und jener Aussicht nach Paris kam, wirklich des Todes gestorben sei.
Es war eine wohllüstig schmerzliche Stimmung, in der ich mich damals befand; sie gebar mir den längst bereits empfangenen »fliegenden Holländer« . – Alle Ironie, aller bittere oder humoristische Sarkasmus, wie er in ähnlichen Lagen all' unseren schriftstellernden Dichtern als einzige gestaltende Triebkraft verbleibt, war von mir zunächst in den genannten und ihnen noch folgenden litterarischen Ergüssen vorläufig so weit losgelassen und ausgeworfen worden, daß ich nach dieser Entledigung meinem inneren Drange nur durch wirkliches künstlerisches Gestalten genügen zu können in den Stand gesetzt war. Wahrscheinlich hätte ich nach dem Erlebten, und von dem Standpunkte aus, auf den mich die Lebenserfahrung gestellt hatte, dieses Vermögen nicht gewonnen, wenn ich eben nur schriftstellerisch-dichterische Fähigkeiten von Jugend auf mir angeeignet hätte; vielleicht wäre ich in die Bahn unserer modernen Litteraten und Theaterstückdichter getreten, die unter den kleinlichen Einflüssen unserer formellen Lebensbeziehungen, mit jedem ihrer prosaischen oder gereimten Federzüge, gegen wiederum formelle Äußerungen jener Beziehungen zu Felde ziehen, und so ungefähr einen Krieg führen, wie ihn in unseren Tagen General Willisen und seine Getreuen gegen die Dänen führten; ich würde sehr vermuthlich so – um mich populär auszudrücken – die Hantirung des Treibers ausgeübt haben, der auf den Sack schlägt, wenn er den Esel meint: – wäre ich nicht durch Eines höher befähigt gewesen, und dieß war mein Erfülltsein von der Musik .
Über das Wesen der Musik habe ich mich neuerdings zur Genüge ausgesprochen; ich will ihrer hier nur als meines guten Engels gedenken, der mich als Künstler bewahrte, ja in Wahrheit erst zum Künstler machte von einer Zeit an, wo mein empörtes Gefühl mit immer größerer Bestimmtheit gegen unsere ganzen Kunstzustände sich auflehnte. Daß diese Auflehnung nicht außerhalb des Gebietes der Kunst, vom Standpunkte weder des kritisirenden Litteraten, noch des kunstverneinenden, sozialistisch rechnenden, politischen Mathematikers unserer Tage, aus geschah, sondern daß meine revolutionäre Stimmung mir selbst den Drang und die Fähigkeit zu künstlerischen Thaten erweckte, dieß verdanke ich – wie gesagt – nur der Musik. Soeben nannte ich sie meinen guten Engel. Dieser Engel war mir nicht vom Himmel herabgesandt; er kam zu mir aus dem Schweiße des menschlichen Genie's von Jahrhunderten: er berührte nicht mit unfühlbar sonniger Hand etwa den Scheitel meines Hauptes; in der blutwarmen Nacht meines heftig verlangenden Herzens nährte er sich zu gebärender Kraft nach Außen für die Tageswelt. – Ich kann den Geist der Musik nicht anders fassen als in der Liebe . Von seiner heiligen Macht erfüllt, gewahrte ich, bei erwachsender Sehkraft des menschlichen Lebensblickes, nicht einen zu kritisirenden Formalismus vor mir, sondern durch diesen Formalismus hindurch erkannte ich, auf dem Grunde der Erscheinung,
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