Auswahl seiner Schriften
durch sympathetische Empfindungskraft das Bedürfniß der Liebe unter dem Drucke eben jenes lieblosen Formalismus'. Nur wer das Bedürfniß der Liebe fühlt, erkennt dasselbe Bedürfniß in Anderen: mein von der Musik erfülltes künstlerisches Empfängnißvermögen gab mir die Fähigkeit, dieses Bedürfniß auch in der Kunstwelt überall da zu erkennen, wo ich durch die abstoßende Berührung mit ihrem äußerlichen Formalismus mein eigenes Liebesvermögen verletzt, und aus dieser Verletzung gerade mein eigenes Liebesbedürfniß thätig erwacht fühlte. So empörte ich mich aus Liebe, nicht aus Neid und Ärger; und so ward ich daher Künstler , nicht kritischer Litterat.
Den Einfluß, den mein musikalisches Empfindungswesen auf die Gestaltung meiner künstlerischen Arbeiten, namentlich auch auf die Wahl und Bildung der dichterischen Stoffe ausübte, will ich seinem Wesen nach bezeichnen, wenn ich an der Darstellung der Entstehung und des Charakters der Arbeiten, die von mir unter diesem Einflusse zu Tage kamen, diese Bezeichnung mir für das Verständniß erleichtert haben werde. Für jetzt gebe ich diese Darstellung. –
Der Richtung, in die ich mich mit der Konzeption des »fliegenden Holländers« schlug, gehören die beiden ihm folgenden dramatischen Dichtungen, » Tannhäuser « und » Lohengrin «, an. Mir ist der Vorwurf gemacht worden, daß ich mit diesen Arbeiten in die – wie man meint – durch Meyerbeer's »Robert der Teufel« überwundene und geschlossene, von mir mit meinem »Rienzi« bereits selbst verlassene, Richtung der »romantischen Oper« zurück getreten sei. Für Die, welche mir diesen Vorwurf machen, ist die romantische Oper natürlich eher vorhanden, als die Opern , die nach einer konventionell klassifizirenden Annahme »romantische« genannt werden.
Anmerkung des Herausgebers: 9) Wie gedankenlos und oberflächlich die so geläufige »Rubrizierung« Wagners unter die »Romantiker« ist, kann man auch aus S. 59 ersehen. Gegenüber der unechten und halben Nachempfindelei des »ritterlich-katholisch-phantastischen« Mittelalters bei den »Romantikern« à la F. Schlegel, Tieck u. a. finden wir bei Wagner die urkäftige und tief wahrhaftige Wiedererweckung des altgermanischen Mythos und ursprünglichen Christentums.
Ob ich von einer künstlerisch formellen Absicht aus auf die Konstruktion von »romantischen« Opern ausging, wird sich herausstellen, wenn ich die Entstehungsgeschichte jener drei Werke genau erzähle.
Die Stimmung, in der ich den »fliegenden Holländer« empfing, habe ich im Allgemeinen bezeichnet: die Empfängniß war genau so alt, als die Stimmung, die sich anfangs in mir nur vorbereitete, und, gegen berückende Eindrücke ankämpfend, endlich zu der Äußerungsfähigkeit gelangte, daß sie in einem ihr angehörigen Kunstwerke sich ausdrücken konnte. – Die Gestalt des »fliegenden Holländers« ist das mythische Gedicht des Volkes: ein uralter Zug des menschlichen Wesens spricht sich in ihm mit herzergreifender Gewalt aus. Dieser Zug ist, in seiner allgemeinsten Bedeutung, die Sehnsucht nach Ruhe aus Stürmen des Lebens. In der heitern hellenischen Welt treffen wir ihn in den Irrfahrten des Odysseus und in seiner Sehnsucht nach der Heimath, Haus, Herd und – Weib, dem wirklich Erreichbaren und endlich Erreichten des bürgerfreudigen Sohnes des alten Hellas. Das irdisch heimathlose Christenthum faßte diesen Zug in die Gestalt des »ewigen Juden«: diesem immer und ewig, zweck- und freudlos zu einem längst ausgelebten Leben verdammten Wanderer blühte keine irdische Erlösung; ihm blieb als einziges Streben nur die Sehnsucht nach dem Tode, als einzige Hoffnung die Aussicht auf das Nichtmehrsein. Am Schlusse des Mittelalters lenkte ein neuer, thätiger Drang die Völker auf das Leben hin: weltgeschichtlich am erfolgreichsten äußerte er sich als Entdeckungstrieb. Das Meer ward jetzt der Boden des Lebens, aber nicht mehr das kleine Binnenmeer der Hellenenwelt, sondern das erdumgürtende Weltmeer. Hier war mit einer alten Welt gebrochen; die Sehnsucht des Odysseus nach Heimath, Herd und Eheweib zurück, hatte sich, nachdem sie an den Leiden des »ewigen Juden« bis zur Sehnsucht nach dem Tode genährt worden, zu dem Verlangen nach einem Neuen, Unbekannten, noch nicht sichtbar Vorhandenen, aber im Voraus Empfundenen, gesteigert. Diesen ungeheuer weit ausgedehnten Zug treffen wir im Mythos des fliegenden Holländers, diesem Gedichte des Seefahrervolkes aus der
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