Auswahl seiner Schriften
weltgeschichtlichen Epoche der Entdeckungsreisen. Wir treffen auf eine, vom Volksgeiste bewerkstelligte, merkwürdige Mischung des Charakters des ewigen Juden mit dem des Odysseus. Der holländische Seefahrer ist zur Strafe seiner Kühnheit vom Teufel (das ist hier sehr ersichtlich: dem Elemente der Wasserfluthen und der Stürme) verdammt, auf dem Meere in alle Ewigkeit rastlos umherzusegeln. Als Ende seiner Leiden ersehnt er, ganz wie Ahasveros, den Tod; diese, dem ewigen Juden noch verwehrte Erlösung kann der Holländer aber gewinnen durch – ein Weib , das sich aus Liebe ihm opfert: die Sehnsucht nach dem Tode treibt ihn somit zum Aufsuchen dieses Weibes; dieß Weib ist aber nicht mehr die heimathlich sorgende, vor Zeiten gefreite Penelope des Odysseus, sondern es ist das Weib überhaupt, aber das noch unvorhandene, ersehnte, geahnte, unendlich weibliche Weib, – sage ich es mit einem Worte heraus: das Weib der Zukunft .
Dieß war der »fliegende Holländer«, der mir aus den Sümpfen und Fluthen meines Lebens so wiederholt und mit so unwiderstehlicher Anziehungskraft auftauchte; das war das erste Volksgedicht , das mir tief in das Herz drang, und mich als künstlerischen Menschen zu seiner Deutung und Gestaltung im Kunstwerke mahnte.
Von hier an beginnt meine Laufbahn als Dichter , mit der ich die des Verfertigers von Operntexten verließ. Und doch that ich hiermit keinen jähen Sprung. Nirgends wirkte die Reflexion auf mich ein; denn Reflexion ist nur aus der Kombination vorhandener Erscheinungen als Beispiel zu gewinnen: die Erscheinungen, die mir auf meiner neuen Bahn als Beispiele hätten dienen können, fand ich aber nirgends vor. Mein Verfahren war neu; es war mir aus meiner innersten Stimmung angewiesen, von dem Drange zur Mittheilung dieser Stimmung aufgenöthigt. Ich mußte, um mich von innen heraus zu befreien, d. h. um mich gleichfühlenden Menschen aus Bedürfniß des Verständnisses mitzutheilen, einen durch die äußere Erfahrung mir noch nicht angewiesenen Weg als Künstler einschlagen, und was hierzu drängt, ist Notwendigkeit, tief empfundene, nicht aber mit dem praktischen Verstande gewußte, zwingende Notwendigkeit.
Stelle ich mich hiermit meinen Freunden als Dichter vor, so sollte ich fast Bedenken tragen, schon mit einer Dichtung, wie der meines fliegenden Holländers, es zu thun. In ihr ist so Vieles noch unentschieden, das Gefüge der Situationen meist noch so verschwimmend, die dichterische Sprache und der Vers oft noch des individuellen Gepräges so bar, daß namentlich unsere modernen Theaterstückdichter, die Alles nach einer abgesehenen Form konstruiren, und von dem eitlen Wissen ihrer angelernten formellen Fähigkeit aus auf das Auffinden beliebiger Stoffe zur Behandlung in dieser Form ausgehen, die Bezeichnung dieser Dichtung als solcher mir für eine hart zu züchtigende Frechheit anrechnen werden. Weniger als die Furcht vor dieser zu erwartenden Strafe, würde mich mein eigenes Bedenken gegen die Form dieser Dichtung kümmern, wenn es meine Absicht wäre, mich mit diesem Gedichte überhaupt als eine vollendete Erscheinung hinzustellen; wogegen es mich gerade reizt, meinen Freunden mich in meinem Werden vorzuführen. Die Form der Dichtung des fliegenden Holländers war mir aber, wie überhaupt die Form jeder meiner nachherigen Dichtungen, bis auf die äußersten Züge der musikalischen Ausführung, von dem Stoffe insoweit angewiesen, als er mir zum Eigenthum einer entscheidenden Lebensstimmung geworden war, und ich durch Übung und Erfahrung auf dem eingeschlagenen Wege selbst mir die Fähigkeit zu künstlerischem Gestalten überhaupt gewonnen hatte. – Auf das Charakteristische dieses Gestaltens zurückzukommen behalte ich mir, wie gesagt, vor. Für jetzt fahre ich fort, die Entstehungsgeschichte meiner Dichtungen zu verfolgen, nachdem ich eben nur auf den entscheidenden Wendepunkt meines künstlerischen Entwicklungsganges auch in formeller Hinsicht aufmerksam gemacht haben wollte. –
Unter äußeren Umständen, die ich anderswo [Fußnote: Siehe die autobiographische Skizze im ersten Bande dieser Sammlung. S. 3 ff. des vorliegenden Bändchens. Der Herausgeber] bereits meinen Freunden berichtete, führte ich den »fliegenden Holländer« mit großer Schnelligkeit in Dichtung und Musik aus. Ich hatte mich von Paris auf das Land zurückgezogen, und trat von hier aus wieder in erste Berührung mit meiner deutschen Heimath. Mein Rienzi war in Dresden zur Aufführung angenommen
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