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Auswahl seiner Schriften

Auswahl seiner Schriften

Titel: Auswahl seiner Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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unser soziales Leben und unsere theatralische Kunst. Ich habe nie einen großherzigeren Menschen im Kampfe mit kleinlicheren Vorstellungen gesehen, als die, welche dieser Frau, durch ihre wiederum nothwendige Berührung mit ihrer Umgebung, von Außen zugeführt worden waren. Auf mich wirkte meine innige Theilnahme für dieses künstlerische Weib fast weniger anregend, als peinigend, und zwar peinigend, weil sie mich ohne Befriedigung anregte. Sie studirte die »Senta« in meinem fliegenden Holländer, und gab diese Rolle mit so genial schöpferischer Vollendung, daß ihre Leistung allein diese Oper vor völligem Unverständnisse von Seiten des Publikums rettete, und selbst zur lebhaftesten Begeisterung hinriß. Mir erweckte dieß nun den Wunsch, für sie selbst unmittelbar zu dichten, und ich griff um dieses Zweckes willen zu dem verlassenen Plane der »Sarazenin« zurück, den ich nun schnell zu einem vollständigen scenischen Entwurfe ausführte. Diese ihr vorgelegte Dichtung sprach sie aber wenig an, namentlich um Beziehungen willen, die sie gerade in ihrer damaligen Lage nicht wollte gelten lassen. Ein Grundzug meiner Heldin ging in den Satz aus: »die Prophetin kann nicht wieder Weib werden«. Die Künstlerin wollte aber – ohne es bestimmt auszusprechen – das Weib durchaus nicht aufgeben; und erst jetzt muß ich gestehen, ihren sicheren Instinkt richtig würdigen zu können, wo mir die Erscheinungen, denen gegenüber sich ihr Instinkt geltend machte, verwischt worden sind, wogegen die große Trivialität derselben mich damals in einem Grade anwiderte, daß ich, von ihnen auf die künstlerische Frau zurückblickend, diese in einem ihrer unwürdigen Begehren begriffen halten mußte.
    Ich gerieth unter solchen Eindrücken in einen Widerstreit mit mir, der unserer ganzen modernen Entwicklung eigenthümlich ist, und nur von Denen nicht empfunden oder als irgendwie bereits abgemacht angesehen wird, die überhaupt keine Kraft zur Entwicklung haben, und dafür mit angelernten – vielleicht selbst neuesten – Meinungen sich für ihr Anschauungsvermögen begnügen. Ich will versuchen, diesen Widerstreit in Kürze so zu bezeichnen, wie er sich in mir und meinen Verhältnissen äußerte.
    Durch die glückliche Veränderung meiner äußeren Lage, durch die Hoffnungen, die ich auf ihre noch günstigere Entwickelung setzte, endlich durch persönliche, in einem gewissen Sinne berauschende Berührungen mit einer mir neuen und geneigten Umgebung, war ein Verlangen in mir genährt, das mich auf Genuß hindrängte, und um dieses Genusses willen mein inneres, unter leidenvollen Eindrücken der Vergangenheit und durch den Kampf gegen sie, in mir gestaltetes Wesen von seiner eigenthümlichen Richtung ablenkte. Ein Trieb, der in jedem Menschen zum unmittelbaren Leben hindrängt, bestimmte mich in meinen besonderen Verhältnissen als Künstler nun in einer Richtung, die mich wiederum sehr bald und heftig anekeln mußte. Dieser Trieb wäre im Leben nur zu stillen gewesen, wenn ich auch als Künstler Glanz und Genuß durch vollständige Unterordnung meines wahren Wesens unter die Anforderungen des öffentlichen Kunstgeschmackes zu erstreben gesucht hätte; ich hätte mich der Mode und der Spekulation auf ihre Schwächen hingeben müssen, und hier, an diesem Punkte, wurde es meinem Gefühle klar, daß ich beim wirklichen Eintritte in diese Richtung vor Ekel zu Grunde gehen müßte. Sinnlichkeit und Lebensgenuß stellten sich somit meinem Gefühle nur in der Gestalt Dessen dar, was unsere moderne Welt als Sinnlichkeit und Lebensgenuß bietet; und als Künstler stellte sich dieß mir als erreichbar wiederum nur in der Richtung dar, die ich bereits als Ausbeutung unseres elenden öffentlichen Kunstwesens kennen gelernt hatte. Im Punkte der wirklichen Liebe beobachtete ich zu gleicher Zeit an einer von mir bewunderten Frau die Erscheinung, daß ein dem meinigen gleiches Verlangen sich nur an den trivialsten Begegnungen befriedigt wähnen durfte, und zwar in einer Weise, daß der Wahn dem Bedürfnisse nie wahrhaft verhüllt werden konnte. – Wandte ich mich nun endlich hiervon mit Widerwillen ab, und verdankte ich die Kraft meines Widerwillens nur meiner bereits zur Selbständigkeit entwickelten, menschlich-künstlerischen Natur, so äußerte sie sich, menschlich und künstlerisch, nothwendig als Sehnsucht nach Befriedigung in einem höheren, edleren Elemente, das, in seinem Gegensatze zu der einzig unmittelbar erkennbaren

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