Auswahl seiner Schriften
eigentlichen Unzufriedenheit mit ihrer Beschaffenheit. Die Erfahrung ihres Eindruckes auf das Publikum war mir hier aber sehr wichtig; die mißtrauischeste, zum Schlechtfinden aufgelegteste Berliner Kälte desselben, die den ganzen ersten Akt über angehalten hatte, ging im Verlaufe des zweiten Aktes in vollste Wärme und Ergriffenheit über. Ich konnte den Erfolg nicht anders als durchaus günstig betrachten: dennoch verschwand die Oper sehr bald vom Repertoir. Ein sicherer Instinkt für das moderne Theaterwesen leitete die Direktion, indem sie diese Oper, selbst wenn sie gefiel, als unpassend für ein Opernrepertoir ansah. Ich erkenne heute, wie richtig hiermit überhaupt über das Wesen der Theaterkunst geurtheilt ist. Ein Stück für das Repertoir, das längere Zeit hindurch, oder vielleicht immer, abwechselnd mit anderen Stücken seines Gleichen, einem Publikum vorgeführt werden soll, darf aus keiner Stimmung entstanden sein, und zu seinem Verständnisse keine Stimmung nöthig haben, die von einer besonderen individuellen Natur ist. Es müssen hierzu Stücke verwandt werden, die entweder von ganz allgemein gleichgiltiger Stimmung oder einer Stimmung überhaupt ganz bar sind, also auch auf die Erweckung einer besonderen Stimmung beim Publikum gar nicht ausgehen, und nur durch den äußerlichen Reiz der Vorführung, durch mehr oder weniger rein persönliche Theilnahme für die darstellenden Virtuosen, eine zerstreuende Unterhaltung zu bewirken im Stande sind. Die Vorführung älterer, sogenannter klassischer Werke, die zu wirklichem Verständnisse allerdings nur durch Erweckung individueller Stimmungen gelangen könnten, ist nirgends das Werk der Überzeugung der Theaterdirektoren, sondern, auch für den Erfolg, nur eine mühsam künstlich erfüllte Forderung unserer ästhetischen Kritik. Die Stimmung, die mein »fliegender Holländer« im glücklichen Falle zu erwecken vermochte, war aber eine so prägnante, ungewohnte und tieferregte, daß selbst Diejenigen, die ganz von ihr erfüllt worden waren, unmöglich häufig und schnell hintereinander aufgelegt sein konnten, in dieselbe Stimmung sich wiederum versetzen zu lassen. Von solchen Stimmungen will ein Publikum, will jeder Mensch, überrascht werden: der heftige und tiefnachwirkende Schlag dieser Überraschung ist – auch als Zweck des Kunstwerkes – das Wohlthätige und Erhebende in der Wirkung einer dramatischen Vorstellung. Dieselbe Überraschung gelingt entweder nie wieder, oder nur bei sehr seltener Wiederholung, und nach allmählich durch das Leben bewirkter Verwischung des empfangenen ersten Eindruckes; wogegen die gewaltsame Anreizung, mit bewußter Absicht diese Überraschung sich zu verschaffen, ein krankhafter Zug unserer modernen Kunstschwelgerei ist. Von Menschen, die sich stets aus dem Leben wahrhaft fortentwickeln, ist, streng genommen, dieselbe Wirkung von der Aufführung desselben dramatischen Werkes gar nie wieder zu gewinnen; und dem erneueten Verlangen könnte nur ein neues Kunstmerk entsprechen, das wiederum aus einer ebenfalls neuen Entwickelungsphase des Künstlers hervorgegangen ist. – Ich berühre hier Das, was ich in der Einleitung gegen das Monumentale in unserem Kunsttreiben aussprach, und bestätige somit aus der Erforschung und vernünftigen Deutung der vorhandenen Erscheinungen, das Bedürfnis; nach dem stets neuen, immer der Gegenwart unmittelbar entsprungenen und ihr allein angehörigen Kunstwerke der Zukunft, das eben nicht als eine monumentale, sondern als eine das Leben selbst, in seinen verschiedensten Momenten wiederspiegelnde, in unendlich wechselnder Vielheit sich kundgebende Erscheinung verstanden werden kann. –
Begriff ich dieß auch zu jener Zeit noch nicht klar, so drängte es als Wahrnehmung sich doch meiner Empfindung auf, und zwar namentlich durch Innewerden des ungemein starken Eindruckes, den mein »fliegender Holländer« auf Einzelne gemacht hatte. In Berlin, wo ich übrigens durchaus unbekannt war, empfing ich von zwei Menschen – einem Manne und einer Frau, die, mir zuvor ganz fremd, der Eindruck des fliegenden Holländers plötzlich mir zugeführt hatte – die erste bestimmte Genugthuung und Aufforderung für die von mir eingeschlagene eigenthümliche Richtung. Von jetzt an verlor ich immer mehr das eigentliche »Publikum« aus den Augen: die Gesinnung einzelner, bestimmter Menschen nahm für mich die Stelle der nie deutlich zu fassenden Meinung der Masse ein, die mir – in diesem Bezuge noch ganz
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