Auswahl seiner Schriften
in seiner keuschesten Schönheit zu erblicken. Was ich hier ersah, war nicht mehr die historisch konventionelle Figur, an der uns das Gewand mehr als die wirkliche Gestalt interessiren muß; sondern der wirkliche, nackte Mensch, an dem ich jede Wallung des Blutes, jedes Zucken der kräftigen Muskeln, in uneingeengter, freiester Bewegung erkennen durfte: der wahre Mensch überhaupt.
Gleichzeitig hatte ich diesen Menschen auch in der Geschichte aufgesucht. Hier boten sich mir Verhältnisse , und nichts als Verhältnisse; den Menschen sah ich aber nur insoweit, als ihn die Verhältnisse bestimmten, nicht aber, wie er sie zu bestimmen vermocht hätte. Um auf den Grund dieser Verhältnisse zu kommen, die in ihrer zwingenden Kraft den stärksten Menschen zum Vergeuden seiner Kraft an ziellose und nie erreichte Zwecke nöthigten, betrat ich von Neuem den Boden des hellenischen Alterthumes, und ward auch hier endlich wiederum nur auf den Mythos hingewiesen, in welchem ich den Grund auch dieser Verhältnisse erkannte: nur waren in diesem Mythos jene sozialen Verhältnisse in ebenso einfachen, bestimmten und plastischen Zügen kundgegeben, als ich zuvor in ihm schon die menschliche Gestalt selbst erkannt hatte; und auch von dieser Seite her leitete mich der Mythos gerade wieder einzig auf diesen Menschen als den unwillkürlichen Schöpfer der Verhältnisse hin, die in ihrer dokumental-monumentalen Entstellung als Geschichtsmomente, als überlieferte irrthümliche Vorstellungen und Rechtsverhältnisse, endlich den Menschen zwangvoll beherrschten, und seine Freiheit vernichteten.
Hatte mich nun schon längst die herrliche Gestalt des Siegfried angezogen, so entzückte sie mich doch vollends erst, als es mir gelungen war, sie, von aller späteren Umkleidung befreit, in ihrer reinsten menschlichen Erscheinung vor mir zu sehen. Erst jetzt auch erkannte ich die Möglichkeit, ihn zum Helden eines Drama's zu machen, was mir nie eingefallen war, so lange ich ihn nur aus dem mittelalterlichen Nibelungenliede kannte. – Zugleich mit ihm war mir aus dem Studium der Geschichte aber auch Friedrich I. entgegengetreten: er erschien mir, wie er dem sagengestaltenden deutschen Volke erschienen war, als eine geschichtliche Wiedergeburt des altheidnischen Siegfried. Als die politischen Bewegungen der letzten Zeit hereinbrachen, und in Deutschland zunächst im Verlangen nach politischer Einheit sich kundgaben, mußte es mich dünken, als ob Friedrich I. dem Volke näher liegen und eher verständlich sein würde, als der rein menschliche Siegfried. Schon hatte ich den Plan zu einem Drama entworfen, das in fünf Akten Friedrich vom ronkalischen Reichstage bis zum Antritte seines Kreuzzuges darstellen sollte. Unbefriedigt wandte ich mich aber immer wieder von dem Plane ab. Nicht die bloße Darstellung einzelner geschichtlicher Momente hatte mich zu dem Entwurfe veranlaßt, sondern der Wunsch, einen großen Zusammenhang von Verhältnissen in der Weise vorzuführen, daß er nach einer leicht überschaulichen Einheit erfaßt und verstanden werden sollte. Um meinen Helden, und die Verhältnisse, die er mit ungeheurer Kraft zu bewältigen strebt, um endlich selbst von ihnen bewältigt zu werden, zu einem deutlichen Verständnisse zu bringen, mußte ich mich, gerade dem geschichtlichen Stoffe gegenüber, zum Verfahren des Mythus hingedrängt fühlen: die ungeheure Masse geschichtlicher Vorfälle und, Beziehungen, aus der doch kein Glied ausgelassen werden durfte, wenn ihr Zusammenhang verständlich zu überblicken sein sollte, eignete sich weder für die Form, noch für das Wesen des Drama's. Hätte ich dieser nothwendigen Forderung der Geschichte entsprechen wollen, so wäre mein Drama ein unübersehbares Konglomerat von dargestellten Vorfällen geworden, die das Einzige, was ich eigentlich darstellen wollte, in Wahrheit gar nicht zum Vorschein hätten kommen lassen; und ich würde daher mit meinem Drama künstlerisch genau in denselben Fall gekommen sein, wie der Held: nämlich, von den Verhältnissen, die ich bewältigen, d. h. gestalten wollte, würde ich selbst überwältigt und erdrückt worden sein, ohne meine Absicht zum Verständnisse gebracht zu haben, wie Friedrich seinen Willen nicht zur Ausführung bringen konnte. Ich hätte, um meine Absicht zu erreichen, daher die Masse der Verhältnisse selbst durch freie Gestaltung bewältigen müssen, und würde sonach in ein Verfahren gerathen sein, das die Geschichte geradesweges aufgehoben hatte.
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