Auswahl seiner Schriften
Aufführung von »Siegfried's Tod« gar nicht, sondern sah seine dichterisch technische Vollendung, und einzelne Versuche zur musikalischen Ausführung, nur für eine innerliche Genugthuung an, die ich, zu jener Zeit des Ekels vor den öffentlichen Angelegenheiten und der Zurückgezogenheit von ihnen, mir selbst verschaffte. – Diese vereinsamte traurige Stellung als künstlerischer Mensch, mußte mir aber gerade hieran wiederum zum schmerzlichsten Bewußtsein kommen, und der nagenden Wirkung dieses Schmerzes konnte ich nur durch Befriedigung meines rastlosen Triebes zu neuen Entwürfen wehren. Es drängte mich Etwas zu dichten, das gerade dieses mein schmerzliches Bewußtsein, auf eine dem gegenwärtigen Leben verständliche Weise mittheile. Wie ich mit dem »Siegfried« durch die Kraft meiner Sehnsucht auf den Urquell des ewig Reinmenschlichen gelangt war, so kam ich jetzt, wo ich diese Sehnsucht dem modernen Leben gegenüber durchaus unstillbar, und von Neuem nur die Flucht vor diesem Leben, mit Aufhebung seiner Forderungen an mich durch Selbstvernichtung, als Erlösung erkennen mußte, auch an dem Urquell aller modernen Vorstellungen von diesem Verhältnisse an, nämlich dem menschlichen Jesus von Nazareth .
Zu einer, namentlich für den Künstler ergiebigen Beurtheilung der wundervollen Erscheinung dieses Jesus' war ich dadurch gelangt, daß ich den symbolischen Christus von ihm unterschied, der, in einer gewissen Zeit und unter bestimmten Umständen gedacht, sich unserem Herzen und Verstande als so leicht begreiflich darstellt. Betrachtete ich die Zeit und die allgemeinen Lebenszustände, in denen ein so liebendes und liebebedürftiges Gemüth, wie das Jesus', sich entfaltete, so war mir nichts natürlicher, als daß der Einzelne , der eine so ehrlose hohle und erbärmliche Sinnlichkeit, wie die der römischen Welt, und mehr noch der den Römern unterworfenen Welt, nicht vernichten und zu einer neuen, der Gemüthssehnsucht entsprechenden Sinnlichkeit gestalten konnte, nur aus dieser Welt, somit aus der Welt überhaupt hinaus, nach einem besseren Jenseits, – nach dem Tode, verlangen mußte. Sah ich nun die heutige moderne Welt von einer ähnlichen Nichtswürdigkeit, als die damals Jesus umgebende erfüllt, so erkannte ich jetzt nur, der charakteristischen Eigenschaft der gegenwärtigen Zustände gemäß, jenes Verlangen in Wahrheit als in der sinnlichen Natur des Menschen begründet, der aus einer schlechten, ehrlosen Sinnlichkeit sich eben nach einer edleren, seiner geläuterten Natur entsprechenden Wahrnehmbarkeit sehnt. Der Tod ist hier nur das Moment der Verzweiflung; er ist der Zerstörungsakt, den wir an uns ausüben, weil wir ihn – als Einzelne – nicht an den schlechten Zuständen der uns zwingenden Welt ausüben können. Der Akt der wirklichen Vernichtung der äußeren, wahrnehmbaren Bande jener ehrlosen Sinnlichkeit ist aber die uns obliegende gesunde Kundgebung dieses, bisher auf die Selbstvernichtung gerichteten Dranges. – Es reizte mich nun, die Natur Jesus', wie sie unserem , der Bewegung des Lebens zugewandten Bewußtsein deutlich geworden ist, in der Weise darzuthun, daß das Selbstopfer Jesus' nur die unvollkommene Äußerung desjenigen menschlichen Triebes sei, der das Individuum zur Empörung gegen eine lieblose Allgemeinheit drängt, zu einer Empörung, die der durchaus Einzelne allerdings nur durch Selbstvernichtung beschließen kann, die gerade aus dieser Selbstvernichtung heraus aber noch ihre wahre Natur dahin kundgiebt, daß sie wirklich nicht auf den eigenen Tod, sondern auf die Verneinung der lieblosen Allgemeinheit ausging. [Fußnote: Wie sehr in dieser Auffassung nur der Künstler thätig war, entgeht wohl unschwer.]
In diesem Sinne suchte ich meiner empörten Stimmung Luft zu machen mit dem Entwurfe eines Drama's » Jesus von Nazareth «. Zwei überwältigende Bedenken hielten mich aber von der Ausführung des Entworfenen ab: diese erwuchsen einerseits aus der widerspruchsvollen Natur des Stoffes, wie er uns eben vorliegt; andererseits aus der erkannten Unmöglichkeit, auch dieses Werk zur öffentlichen Aufführung zu bringen. Dem Stoffe, wie er nun einmal durch das religiöse Dogma und die populäre Vorstellung von ihm dem Volke sich eingeprägt hat, mußte ein zu empfindlicher Zwang angethan werden, wenn ich mein modernes Bewußtsein von seiner Natur in ihm kundgeben wollte; an seinen populären Momenten mußte gedeutet, und mit mehr philosophischer als künstlerischer
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