Auswahl seiner Schriften
wir die Nöthigung zur Veredelung der plastischen Bewegungen durch gewissenhafteste Mäßigung derselben. Jene, bisher im gemeinen Opernstyle von der Melodie fast einzig herausgehobenen Affekt-Schreie, waren immer auch von gewaltsamen Armbewegungen begleitet gewesen, welcher die Darsteller durch Gewöhnung sich mit solch regelmäßiger Wiederkehr bedienten, daß sie jede Bedeutung verloren und dem unbefangenen Zuschauer den Eindruck eines lächerlichen Automaten-Spieles machen mußten. Gewiß darf einer dramatischen Darstellung, namentlich wenn sie durch die Musik in das Bereich des idealen Pathos erhoben ist, die konventionelle Gebahrung unserer gesellschaftlichen Wohlgezogenheit fremd sein: hier gilt es nicht mehr dem Anstande, sondern der Anmuth einer erhabenen Natürlichkeit. Von dem bloßen Spiele der Gesichtsmienen sich entscheidende Wirkung zu versprechen, sieht der heutige dramatische Darsteller durch die in unserem Theater nöthig gewordene oft große Entfernung vom Zuschauer sich behindert, und die gegen das bleichende Licht der Bühnenbeleuchtung zu Hilfe gerufene Herstellung einer künstlichen Gesichtsmaske erlaubt ihm meistens nur die Wirkung des Charakters derselben, nicht aber einer Bewegung der verborgenen inneren seelischen Kräfte in Berechnung zu ziehen. Hierfür tritt nun eben im musikalischen Drama der Alles verdeutlichende und unmittelbar redende Ausdruck des harmonischen Tonspieles mit einer ungleich sichereren und überzeugenderen Wirkung ein, als sie dem bloßen Mimiker zu Gebote stehen kann, und die von uns zuvor in Betracht genommene, verständlichst vorgetragene dramatische Melodie wirkt deutlicher und edler als die studirteste Rede des geschicktesten Mienenspielers, sobald sie gerade von den, diesem einzig hilfreichen Kunstmitteln, am wenigsten beeinträchtigt wird.
Dagegen scheint nun der Sänger, mehr als der Mimiker, auf die plastischen Bewegungen des Körpers selbst, namentlich der so gefühlsberedten Arme angewiesen zu sein: in der Anwendung dieser hatten wir uns aber immer an dasselbe Gesetz zu halten, welches die stärkeren Akzente der Melodie mit den Partikeln derselben in Einheit erhielt. Wo wir uns im Opernaffekte gewöhnt hatten, mit beiden, weit ausgebreiteten Armen, wie um Hilfe rufend uns zu gebühren, durften wir finden, daß eine halbe Erhebung eines Armes, ja eine charakteristische Bewegung der Hand, des Kopfes, vollkommen genügte, um der irgendwie gesteigerten Empfindung nach Außen Wichtigkeit zu geben, da diese Empfindung in ihrer mächtigsten Bewegung durch starke Kundgebung erst dann wahrhaft erschütternd wirkt, wenn sie nun, wie aus langer Verhaltung mit Naturgewalt hervorbricht.
Wenn das Gehen und Stehen für Sänger, welche zunächst der Überwindung der oft bedeutenden Schwierigkeiten ihrer rein musikalischen Aufgabe ihre angestrengteste Aufmerksamkeit zuzuwenden haben, gemeinhin einer unüberlegten Ausübung der Routine überlassen bleibt, so erkannten wir dagegen bald, von welchem ergiebigen Erfolge eine weise Anordnung des Schreitens und Stehens für die Erhebung unserer dramatischen Darstellung über das gewöhnliche Opernspiel sei. War das eigentliche Hauptstück der älteren Oper die monologische Arie, und hatte der Sänger, wie er dieß fast nicht anders konnte, sich gewöhnt, diese dem Publikum gewissermaaßen in das Gesicht abzusingen, so war aus dieser scheinbaren Nöthigung zugleich die Annahme erwachsen, daß auch bei Duetten, Terzetten, ja ganz massenhaften sogenannten Ensemblestücken, Jedes seinen Part in der gleichen Stellung in den Zuschauerraum hinein zum Besten zu geben habe. Da hierbei das Schreiten völlig ausgeschlossen war, gerieth dagegen die Armbewegung zu der fast unausgesetzten Anwendung, deren Fehlerhaftigkeit, ja Lächerlichkeit, wir eben inne geworden. Ist nun hiergegen im wirklichen musikalischen Drama der Dialog, mit allen seinen Erweiterungen, zur einzigen Grundlage alles dramatischen Lebens erhoben, und hat daher der Sänger nie mehr dem Publikum, sondern nur seinem Gegenredner etwas zu sagen, so mußten wir finden, daß die übliche Nebeneinanderstellung eines duettirenden Paares dem leidenschaftlichen Gespräche zu einander alle Wahrheit benahm: denn die Dialogisirenden hatten entweder ihre dem Andern geltenden Reden wieder in das offene Publikum hinaus zu sagen, oder sie waren zu einer Profilstellung genöthigt, welche sie zur Hälfte dem Zuschauer entzog und die Deutlichkeit der Rede, wie der Aktion, beeinträchtigte. Um
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