Ausweichmanöver (German Edition)
sich …?“
„Umbringen, meinst du?“ Philip schüttelte den Kopf. „Niemals. Sie hat doch Timo.“
„Und wenn sie gemeinsam?“
„No way. Timo never ever. Lass gut sein, Alter. Die packen das.”
Heckmann stand nun direkt neben ihnen. „Stellen Sie sofort Ihre Privatunterhaltung ein. Nehmen Sie die Hefte heraus und lösen Sie die Aufgabe schriftlich.“
Erschrocken glitt Lars auf seinen Stuhl. Er sah sich um. Die meisten anderen saßen gleichfalls, wie betäubt, auf ihren Plätzen. Gordon wiegte Michelle, die leise schluchzte.
Plötzlich spürte Lars einen dicken Kloß in seinem Hals.
Er konnte sich nicht daran vorbeimogeln. Auf das Klingelzeichen warten. Er musste Stellung beziehen. Konnte er hier sitzen bleiben und dämliche Nullstellen berechnen, während zwei seiner Freunde buchstäblich fertiggemacht wurden?
Gut, er brachte damit seinen Durchschnitt in Gefahr. War eine Geste das wert? Und mehr war es doch nicht, oder? Eine bloße Geste. Eine leere Geste?
Was erwartete Julia von ihm?
Was würde er in solch einer Situation erwarten?
Hatte Timo die Sache im Griff?
Würden seine Eltern alles für ihn richten? Oder reichte es, dass sie ihn unterstützten? War er deswegen so selbstsicher?
Bevor er sich entschieden hatte, stand Valentin auf. „Herr Heckmann, entschuldigen Sie bitte, mir ist schlecht. Ich muss zur Toilette.“
Heckmann sah ihn durchdringend an. „Sie wissen, dass ich die Fehlzeiten im Kursbuch protokolliere.“
„Auf die Sekunde.“ Valentin nickte und verschwand mit seinem Rucksack.
Lars bewunderte seinen Freund. Das war eine clevere Lösung. Keine klare Konfrontation, aber auch kein Zu-Kreuze-kriechen.
Lars meldete sich ebenfalls zur Toilette ab. Als er die Tür schloss, hörte er, dass Gordon und Michelle sich entschuldigten. Er wartete vor der Tür auf sie. Ohne ein Wort zu sprechen, verließen sie gemeinsam das alte Backsteingebäude und gingen am Sportplatz entlang auf den Schulhof von Gebäude II.
Seit sie vor drei Jahren die Frischlinge betreut hatten, hielten sie sich immer auf dem Hof der Unterstufe auf. Er lag auf halbem Weg zur Mensa und irgendwie war es da gemütlich. Zwar waren sie längst keine Buddies mehr, aber die Zwerge hatten akzeptiert, dass die Großen das Rondell belegten. Die Kleinen saßen sowieso lieber auf dem Klettergerüst oder versteckten sich in den Büschen.
Vorwitzige nutzten die Gelegenheit und ließen sich eine Aufgabe rechnen oder ein paar Vokabeln vorsagen.
So gingen sie auch heute zum kleinen Hof, ohne dass sie sich verabreden mussten.
Gordon setzte sich auf eine der Stufen in dem Rondell in der Mitte, das rundum mit Büschen bepflanzt war. Jetzt im Juni waren die Blätter so dicht, dass man nicht hindurchschauen konnte. Valentin saß bereits auf seinem Stammplatz ganz am Rand. Er nickte ihnen zu. Keiner sprach ein Wort.
Gordon rüttelte eine Zigarette aus der Schachtel und hielt sie erst Michelle und danach Lars hin. Beide schüttelten den Kopf. Michelle stellte ihren Rucksack ab und setzte sich neben Valentin.
Um etwas zu tun zu haben, packte Lars seine Kamera aus. Er schaute sich die Fotos an, die er gestern gemacht hatte und versuchte, nicht über das nachzudenken, was eben geschehen war und welche Konsequenzen es haben würde. Er hasste Veränderungen.
Philip setzte sich neben ihn. „Sie hätte die Aufgabe gekonnt. Definitiv.“
„Bist du sicher?“ Lars war verblüfft.
„Timo hat ein Matheheft vom Jahrgang vor uns besorgt. Der Heckmann macht jedes Jahr genau das Gleiche. Tag für Tag. Stunde für Stunde.“
„Wie? Und warum hat Timo dann nicht mit Julia geübt?“
Philip lachte. „Du kennst sie doch. Bei einem Betrug hätte sie nie mitgemacht.“
„Deshalb hast du dich angeboten, mit ihr zu üben. Dich hatte sie nicht in Verdacht, etwas zu mauscheln.“
„Exacto.“
Lars überlegte. „Wahrscheinlich hat sie genau deswegen die Aufgabe nicht gelöst, obwohl sie es gekonnt hätte. Sie hat die Gleichung erkannt und euch durchschaut.“
Philip war sichtlich erschrocken. „Meinst du? Na, dann macht sie Timo jetzt aber die Hölle heiß.“
„Hoffentlich machen die beiden keinen Blödsinn.“
„Falls Timo sie eingeholt hat.“
„Wie meinst du das?“
Philip wand sich ein wenig. „Na ja, sie hat mir erzählt, dass sie ein Versteck gefunden hat. Da geht sie immer hin, wenn es zu Hause Stress gibt.“
„Sie kann doch jederzeit zu Timo. Seine Eltern würden sie sofort aufnehmen.“ Lars hatte sich oft
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