Ausweichmanöver (German Edition)
Frau Bergmann die Tür zugeworfen hatte. Woher kamen die Schüsse? Lars drehte sich um, schaute zum Gebäude der HAWK hinüber. Bewegte sich etwas auf dem Dach? Durch die vielen Blätter konnte er kaum etwas erkennen.
Er hob die Kamera, lief rückwärts über den Schulhof bis zu dem Beet, duckte sich und wollte weiter zum Gebäude hinüber, schoss ein Foto nach dem anderen. Knapp rechts von ihm schlug eine Kugel in den Baum. Er warf sich neben Valentin auf den Boden, richtete die Kamera wieder auf das Dach. Da war jemand neben dem Lüftungsschacht. Er zoomte, was die Batterien noch hergaben, erkannte eine Person, die gebückt übers Dach davon lief. Lars zitterte, seine Knie schmerzten. Das Bild auf dem kleinen Monitor wackelte, trotzdem begriff er. Der Schütze floh. Sofort sprang er auf. „Es ist vorbei, der Kerl ist weg.“ Doch niemand reagierte auf ihn.
Zu seinen Füßen lag Valentin auf dem Boden und stöhnte. Er hielt sich den linken Oberarm. Blut quoll unter seiner Hand hervor. Ein paar jüngere Schüler, die Lars nur vom Sehen kannte, lagen auf dem Boden dicht nebeneinander, weinten leise und rührten sich nicht. Lars ging zu ihnen. „Ihr könnt aufstehen.“ Als er eines der Mädchen an der Schulter berührte, hinterließ er einen Blutfleck auf ihrer Bluse.
Frau Bergmann schrie ihm aus der Tür der Turnhalle etwas zu. Er schüttelte den Kopf und murmelte: „Er ist weg.“
Er betrachtete seine Finger. Wo kam das Blut her? Valentin hatte sich aufgesetzt. Neben ihm sah Lars eine Blutlache. Philip. Er sprang zu dem Freund, rüttelte an seiner Schulter, sah das Loch, dort, wo die Fackel hätte sein müssen, riss das schwarze T-Shirt weiter auf, wollte das Blut stoppen, musste die Blutung stoppen. Philip durfte nicht sterben, nicht Philip, nicht hier.
Warum kam denn keiner?
Er sah sich um. Schrie um Hilfe.
Schwankend stand plötzlich der Hausmeister neben ihm. „Polizei ist unterwegs. Krankenwagen auch.“ Seine Stimme klang heiser.
Lars konnte ihn kaum verstehen. Er zeigte auf das Dach der HAWK.
„Er war da oben. Ich habe ihn gesehen.“
In der Ferne erklangen Sirenen. Jemand packte seinen Arm und drehte ihn herum. „Frau Bergmann?“
Sie hielt einen Erste-Hilfe-Kasten in der Hand. „Bist du unverletzt?“
Als er nickte, drückte sie ihm ein Verbandpäckchen in die Hand. „Leg Valentin einen Verband an.“ Sie zögerte, gab ihm noch eine Mullbinde. „Mach besser einen Druckverband. Ich kümmere mich um Philip.“
Lars zögerte, drehte sich zu Valentin um, der gegen einen Baum gelehnt saß. Kreidebleich. Wie betäubt ging Lars zu ihm hinüber. „Druckverband“, murmelte er. „Kann ich. Kein Problem. Druckverband ist okay.“
Als Valentin die Hand von der Wunde nahm, musste Lars würgen. Fleischfetzen hingen herunter. Der Ärmel des T-Shirts war zerrissen und blutverschmiert. Lars konnte den Unterschied zwischen Arm und Shirt nicht erkennen. Alles verschwamm vor seinen Augen. Kurz entschlossen wickelte er den Verband obendrüber. Nachdem er den Knoten gemacht hatte, quietschten Bremsen, Türen wurden zugeschlagen, Befehle und schwere Stiefelschritte erklangen. Metall klapperte.
Valentin und Lars sahen sich kurz in die Augen, dann setzte Lars sich neben den Freund. Ihm war schwummerig. Er bewegte den Kopf, um wieder klarer sehen zu können. Warum war es auf einmal so kalt?
Frau Bergmann dirigierte einen Sanitäter als Erstes zu Philip. Ihre Jeans waren voller Blutflecken. Sie hatte sich mit ihren blutverschmierten Händen ins Gesicht gefasst. Eine blutige Haarsträhne klebte an ihrem Ohr. Sie zitterte. Lars beobachtete, wie der Sanitäter seinen Rucksack öffnete und begann, Philip zu versorgen.
Jetzt bemerkte er, dass ein Stückchen weiter Gordon auf dem Boden kniete. Er hatte Michelles Oberkörper vom Boden gehoben, hielt sie an sich gedrückt fest und schaukelte sanft hin und her. Dabei mauzte er wie eine junge Katze. Ein Sanitäter kniete neben ihm, wollte ihm Michelle aus den Armen nehmen. Er ließ es nicht zu. Beruhigend redete der junge Mann auf ihn ein.
Irgendwo klingelte ein Handy. Ein Mädchen ging dran. Sie konnte nur „Mammi“ schluchzen. Immer mehr Menschen tauchten auf, Lehrer, Polizisten, Sanitäter, ein Redakteur vom Täglichen Anzeiger, den Lars vom Schulfest kannte.
„Meine Kamera.“ Lars erinnerte sich, dass er sie neben Philip abgelegt hatte, um die Hände frei zu haben. Zwei Sanitäter bugsierten Philip gerade auf eine fahrbare Liege. Lars rappelte sich auf,
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