Ausweichmanöver (German Edition)
haben.“
Kofis Augen quollen fast aus dem Kopf. „Jemand hat fotografiert?“
Ich nickte. „Ist extra ins Schussfeld gelaufen, um den Täter drauf zu kriegen.“
„Das wär ja der Hammer.“
„Entschuldigen Sie. Ich verlange Polizeischutz. Der Anschlag galt mir.“
Ich drehte mich um. Ein breitschultriger Mann im dunklen Anzug stand vor mir. Das Kinn energisch heraus gestreckt.
„Ich verstehe nicht.“
„Das verlangt auch keiner von Ihnen. Oberstudienrat Heckmann. Sie suchen nach Timo Fleck, Schüler in Jahrgang 11. Er hat mich“, er schaute auf die Uhr, „vor exakt 78 Minuten in einem Mathematikgrundkurs bedroht. Dafür gibt es siebzehn Zeugen. Was gedenken Sie zu tun?“
Ich sah auf meine Schuhspitzen. „Melden Sie sich beim Einsatzleiter, sobald alle versorgt sind.“ Am liebsten hätte ich ihm meine Faust ins Gesicht gedroschen. Um uns herum verletzte Schüler, vielleicht sogar tote, und der kümmerte sich nur um sich selbst. Ich ließ ihn stehen. Eigentlich müsste man ihn anzeigen, wegen unterlassener Hilfeleistung.
Kofi blieb an meiner Seite. „Was für ein Arschloch.“
Ich verkniff mir, was mir auf der Zunge lag. „Wir müssen den Täter kriegen. Haben die Kollegen oben auf dem Dach schon was gefunden? Hier wird bald die Hölle los sein. Eltern, Presse, der Bürgermeister. Wir müssen uns vorher einen Überblick verschaffen.“
„Du glaubst nicht, dass dieser Heckmann das Ziel war?“
„Warum nicht? Wenn der immer so ein Arschloch war, würde mich das nicht wundern. Ich will bloß wissen, ob die Waffen, die der Kerl verwendet hat, …“
„… aus den Einbrüchen stammen. Verstehe. Ich kümmere mich drum.“
Alles andere ging seinen Gang.
Das Rote Kreuz rückte an, betreute Eltern und Schüler, das Kriseninterventionsteam begann, Gespräche zu führen. Ein Geistlicher, den ich noch nie gesehen hatte, versammelte Menschen um sich und betete mit ihnen.
Ich bemühte mich, mich abzuschotten. Bloß keine Gefühle. Nur Täter und Opfer, keine Menschen, schon gar keine Kinder. Ich konzentrierte mich auf den Kletterturm. Dunkles Holz. Stabil und vertrauenswürdig.
Ich musste funktionieren, den Impuls wegzulaufen, ignorieren.
Tu deine Pflicht, Stefan.
Ich ging langsam über den Hof und suchte nach dem Jungen mit der Kamera. Wenn wir tatsächlich ein Foto des Täters hätten! Kein Mauseloch wäre tief genug. Jeden Stein würden wir umdrehen, jeden Keller entrümpeln. Der würde uns nicht entkommen.
Wo war der Junge mit der Kamera? Schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans. Irgendwie kam er mir bekannt vor.
Ein Schüler mit einem Fotoapparat, wo hatte ich den schon mal gesehen? Eine Digitalkamera mit auffälligem Objektiv, vor dem Gesicht? Nein, vor dem Bauch. Genau, das war’s. Bei dem Titanick-Konzert, Kamera-vor-dem-Bauch. Hatte ich nicht auch den Slawen hier irgendwo gesehen?
Da am Baum. Wo waren die beiden hin?
Egal, wahrscheinlich war sowieso nichts zu erkennen, auf die Entfernung, schräg nach oben, mitten durch die Blätter. Darum konnten wir uns später noch kümmern.
Außerdem hatten wir bereits einen Namen: Timo Fleck.
13
„Steck die Kamera weg.“
„Wieso?“
„Willst du Timo ans Messer liefern?“
„Timo?“
Valentin presste die Lippen fest zusammen. „Wer sonst?“
„Spinnst du?“ Lars richtete sich auf, um dem Freund ins Gesicht schauen zu können. „Warum sollte Timo auf uns schießen? Ausgerechnet auf uns?“
„Der Heckmann stand direkt vor mir, als der erste Schuss fiel.“ Valentin lachte trocken. „Der ist gerannt wie ein Karnickel.“
„Genau, er hat sich in Sicherheit gebracht. Das hat der vom Dach aus auch gesehen. Wenn er es auf Heckmann abgesehen hätte“, Lars richtete sich auf, „hätte er die Sechstklässlerinnen da vorn und die Typen aus der 12 auf dem Weg zur Mensa erwischt. Da ist der Heckmann langgerannt.“ Er hielt inne. „Das war nicht Timo. Niemals.“
Valentin schloss die Augen. „Ich hoffe, dass du recht hast. Wer hatte denn sonst noch was gegen den Heckmann?“
„Wer nicht?“
Sie schwiegen beide. Valentin stöhnte, sackte ein wenig zur Seite, richtete sich wieder auf, knirschte mit den Zähnen. Vor Wut? Vor Schmerzen?
Lars sagte: „Ich hole einen Sanitäter, die sollen dir was geben.“
Valentin schüttelte den Kopf. „Erst die anderen.“
Lars war froh, dass er sitzen bleiben konnte.
Später ertappte er sich dabei, dass er blicklos vor sich hin stierte. Den Kopf völlig leer. Unbeteiligt. Dann hörte er
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