Auszeit - Die groeßte Katastrophe der Menschheit
Dass er immer noch am Flugzeugsitz festgeschnallt war, hatte er gar nicht bemerkt und diese Tatsache erst später vom Kapitän des Ausflugsdampfers er fahren. Der eigentliche Absturz war also ziemlich nichts sagend an ihm vorübergegangen, und erst im Hospital wurde ihm richtig bewusst, was geschehen war.
Die Begegnung mit seiner Frau war für ihn ein Gefühl der Wiedergeburt. Seine Frau bedeutete für ihn die Rückkehr in ein Leben, welches er nahezu schon verloren hatte. Die nächsten Tage galten seiner Erholung. Der Verkehr war mittlerweile ohnedies restlos lahm gelegt und auch die gesamte Produktion stand still. Dadurch wurde er in seiner Arbeitsstätte überhaupt nicht vermisst, weil sowieso niemand mehr seinen Dienst verrichten konnte. Natürlich hatten auch seine Kollegen von seiner Rettung gehört und viele hatten angerufen, um sich nach seinem Wohlbefinden zu erkundigen. Bei den meisten der Anrufer war es jedoch in Wirklichkeit nur Neugier und Sensationslust, die sie aus erster Quelle gestillt haben wollten. Als am zweiten Tag nach seiner Heimkehr immer noch das Telefon ununterbrochen klingelte, hängte Helga Wollner kurzerhand den Hörer aus und legte ihn einfach neben die Basisstation.
Die Erholung kam, aber die Erinnerung wurde trotzdem nicht ausgelöscht und Rudi Wollner war klar, dass dies Wochen, wenn nicht Monate dauern würde. Und selbst, wenn die Erinnerung längst mit anderen Erlebnissen überwuchert war - niemals wieder würde sein Leben so sein, wie es vor dem Flugzeugabsturz war. Er bedauerte das aber nicht, sondern er begriff zum ersten Mal das Leben als ein wunderschönes Geschenk, das man viel mehr pflegen und würdigen musste, als er das bis- her getan hatte. Selbst unter der momentan herrschenden Situation sah er jetzt ausschließlich das Positive und begann, sein Dasein trotz aller Schwierigkeiten still zu genießen. Auch seine Frau hatte ihre Lebenseinstellung grundlegend geändert. Bei ihr wurde diese Änderung im Gegensatz zu Rudi aber auch nach außen sichtbar.
Obwohl sie früher nur an hohen Feiertagen die Kirche besucht hatte, ging sie jetzt fast jeden Tag, um Gott für die Rettung ihres Mannes zu danken. Auch Wollner hatte Gott für seine Rettung gedankt und tat das jetzt noch, aber er tat es im Verborgenen. Es war eine Sache zwischen ihm und Gott allein, und dazu brauchte er weder die Kirche, und schon überhaupt nicht einen Pfarrer, der schon deshalb nicht richtig mitreden konnte, weil er selbst niemals eine derartige Rettung erlebt hatte. Er blieb jedoch ruhig und ließ Helga gewähren, weil er fühlte, dass sie die Kirchgänge einfach benötigte, um dadurch die Geschehnisse besser verarbeiten zu können.
Die Kirchen waren in diesen Tagen restlos überfüllt und hatten einen Zulauf, wie man ihn im 20. Jahrhundert nie gekannt hatte. Die Priester sonnten sich in dem Erfolg der religiösen Institution und predigten von der Kanzel herab von Sünde, Reue und der nahenden Erlösung. Und je mehr sie von der Erlösung predigten, desto schlimmer gestaltete sich für alle Menschen die Lage. Trotz allem hofften sie verzweifelt weiter. Sie hofften, durch Kirchgang und Gebet auf eine Hilfe von höherer Stelle und begriffen nicht, dass es Zeit war, ihr Schicksal mit dem ihnen gegebenen Verstand selbst in die Hand zu nehmen. Auf vielen Kirchplätzen wurden Stühle aufgestellt, weil die Kirchen während der Gottesdienste nicht den erforderlichen Raum bieten konnten, und obwohl die wenigsten auf diesen Plätzen die salbungsvollen Worte der jeweiligen Prediger akustisch mitbekamen, harrten sie oft Stunden auf den Stühlen aus und warteten auf ein Wunder. Trotz des enormen Kirchenzulaufs änderte sich logischerweise nichts. Ganz im Gegenteil wurde die Lage überall auf der Erde immer katastrophaler. Als die Cholera ausbrach und gleich in der ersten Woche tausende von Menschen starben, begriffen die ersten, dass die Kirche wohl kaum geeignet war, als Retter der Menschheit in die Annalen der Weltgeschichte einzugehen und den Geschehnissen selbst hilf- und machtlos gegenüber stand.
Für Wollner stand fest, wenn man sich nur ein wenig mit der Geschichte kirchlicher Institutionen auseinandersetzte: Als wirklicher Retter der Menschheit war die Kirche noch nie aufgetreten. Jedenfalls nicht wirklich Wie hatte man denn im Namen des Kreuzes gebrandschatzt, gemordet und Reichtum angehäuft! Man denke nur an die Kreuzzüge, die im Zeichen der heiligen Fahne Elend über Elend über ganze
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