Auszeit - Die groeßte Katastrophe der Menschheit
Völker brachte. Selbst als diese Phase endlich überwunden war, löschte man durch Christianisierung rücksichtslos und radikal alte Kulturen aus und glaubte, damit etwas für das Seelenheil der Menschen getan zu haben. Und das Schlimmste dabei war, dass man tatsächlich davon überzeugt war, diesen Menschen ginge nun besser als jemals zuvor. Man lehrte Eingeborene das Lesen und Schreiben, damit sie die Bibel studieren konnten. Es war auch äußerst wichtig, mitten in der Steppe Bibelsprüche zu beherrschen und aufsagen zu können. Was sie benötigt hätten, wären zum Beispiel Kenntnisse vom Brunnenbau gewesen. Kenntnisse, die Ihnen geholfen hätten, ihre halb verdorrten Äcker zu bewässern. Kenntnisse, die dann erst im viel später von allen möglich seriösen und unseriösen internationalen Organisationen vermittelt wurden, während der Papst herumreiste, den Boden fremder Länder küsste und mit Millionenaufwand die vatikanischen Museen renovieren ließ. Jesus gab den Armen Wein und Brot, die Kirche gab den Armen Gebete. Zwar schickte die Kirche schickte keine Kreuzritter mehr aus, organisierte keine Hexenverbrennungen und erließ Bannbullen, aber wirklich selbstlose, aktive Hilfe brachte sie nach der Meinung Wollners genauso wenig wie im Mittelalter.
Wie dem auch sei, Rudi Wollner erlebte mit, dass sich kurz nach Ausbruch der Choleraepidemie die Kirchen, als die Leute merkten, es werde ihnen hier keine Hilfe zu teil, wieder ziemlich rasch leerten. Jetzt waren eben nicht Kirchen, sondern Ärzte gefordert, die Tag und Nacht arbeiten mussten und ihre Dienststunden um ein Vielfaches überzogen. Er und seine Frau zählten zu den Glücklichen, die wenige Minuten, nachdem der Ausbruch der Cholera über die Rundfunksender bekannt gegeben worden war, ins Krankenhaus gingen und deshalb noch eine Immunisierung gegen diese gefährliche Krankheit erhielten. Einige Tage später waren die Impfstoffe zur Neige gegangen und keiner konnte mehr behandelt werden. Als München bereits einige Zehntausend an Choleraopfern beklagte, waren Helga und Rudi Wollner immer noch bei bester Gesundheit und das sollte auch so bleiben.
Wollner, der alles andere als dumm war, machte sich zunehmend Gedanken über die Nahrungssituation. Gedanken, die andere einfach verdrängten oder gar nicht erst aufkommen ließen. Die Nahrungsmitteltransporte, mit denen sich München versorgen ließ, wurden ausschließlich mit Pferdewagen und Ochsenkarren abgewickelt. Eine andere Beförderungsmöglichkeit gab es für diese Stadt nicht. Um Überfälle zu verhindern, wurden die Transporte unter militärischen Geleitschutz gestellt und bis zur Großmarkthalle begleitet. Von hier aus wurden die Nahrungsgüter den einzelnen Stadtgebieten zugeteilt und in mittlerweile staatlich kontrollierten Geschäften verkauft. An sich konnte von einem echten Verkauf keine Rede mehr sein, denn nachdem die Idee der Lebensmittelmarken aufgegeben worden war, gab es nur eine gewichtsbegrenzte, persönliche Zuteilung, wobei die Rationen immer spärlicher wurden. Wollner selbst hatte das Glück, dass sein Kontingent etwas größer ausfiel. Ein Bekannter, dem er vor vielen Jahren einmal finanziell aus der Patsche geholfen hatte, war in der Großmarkthalle beschäftigt. Irgendwie gelang es ihm, jeden Tag etwas von den eintreffenden Lebensmitteln abzuzweigen. Aus Dankbarkeit über die damalige Hilfe versorgte er jetzt Wollner mit Extrarationen, von denen Helga einen Vorrat anlegte. Natürlich achtete sie dabei darauf, nur das in die Vorratskammer zu legen, was sich auch wirklich eine zeitlang frisch hielt.
Trotzdem sie sich also noch einigermaßen ernähren konnten, war es für Rudi nur eine Frage der Zeit, bis die staatlich organisierte Lebensmittelverteilung zusammenbrechen würde. Des Weiteren war damit zu rechnen, dass auch die Transporte immer weniger und eines sicher Tages ganz ausbleiben würden. Bereits kurz nach dem Ausbruch der Cholera, war in ihm der Plan gereift, die Stadt zu verlassen. War die Situation ohnehin schon hoffnungslos, in der Stadt schien sie ihm noch hoffnungsloser zu sein als überall woanders. Wäre Helga nicht gewesen, mit ihrem täglichen Drang zur Kirche, hätte er schon längst München den Rücken gekehrt. Aber seine Frau war dem festen Glauben verhaftet, je häufiger sie in die Kirche ging, desto schneller würde Rettung kommen. Und solange sie an Rettung von außen glaubte, das wusste er, brauchte er ihr mit diesem Vorschlag gar nicht erst
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