Auszeit - Ein Schwarz Weiss Tot Krimi
dass du …?«
»Natürlich, es geht schließlich nicht anders, oder?«
»Das sage ich mir ja auch, aber mein Gewissen regt sich trotzdem.«
Das Unglück nahm seinen Lauf, als er draußen vor Pickford House im Auto saß und auf sie wartete. Es war Viertel vor zwölf, und er stand in den dunklen Schatten der baumbestandenen Straße in Rondebosch. Als sein Handy klingelte, erschrak er so, dass er zwei Anläufe brauchte, um den Anruf anzunehmen.
»Mein Handy hat nicht genügend Speicherplatz, um alles zu fotografieren. Du musst kommen und mir helfen.«
»Wie denn?«
»Auf der Rückseite gibt es einen Serviceeingang, da ist niemand. Ich komme hin und schließe dir die Tür auf.«
Er musste im Dunkeln um das Gebäude herumschleichen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er schließlich den Serviceeingang erreichte, ein hohes, schmiedeeisernesTor mit gefährlichen Spitzen. Er wartete zehn Minuten, aber nichts geschah. Dann klingelte erneut sein Handy.
»Wo bist du?«
»Am Serviceeingang.«
»Du wirst drüberklettern müssen, ich finde den Schlüssel für das Tor nicht. Ich warte am Hintereingang auf dich.«
Mit seinen fast sechzig Jahren musste er mitten in der Nacht über ein Tor klettern. Er erklomm es langsam und vorsichtig, denn wenn er herunterfiel oder sich an den Spitzen verletzte, waren sie wirklich in Schwierigkeiten. Auf der anderen Seite ließ er sich behutsam wieder herunter – er rutschte aber mit den Schuhen an dem glatten Metall ab und sprang das letzte Stück. Ob sein Bein das aushalten würde?
Zehn Schritte entfernt wurde eine Tür geöffnet. Nita erschien und winkte ihm verzweifelt zu, er solle sich beeilen.
Sie schloss die Tür des Archivs hinter ihnen und schaltete das Licht ein. Regale über Regale voller Dokumente in hellen, bunten Ordnern: gelb, rot, blau, grün.
»Siehst du!«, flüsterte Nita. »Ich weiß einfach nicht, wo ich anfangen soll!«
»Verstehe«, flüsterte er fast unhörbar vor lauter Angst, erwischt zu werden. Er ging an den Regalen entlang und zog hier und da einen Ordner heraus, bis er einen Sinn in dem System erkannte.
»Die Akten der Pflegeeltern stehen hier«, erklärte er, »aber nach Jahren, nicht alphabetisch geordnet. Wir müssen die Unterlagen der Haywards finden, es muss 2005 gewesen sein …«
Sie suchten, bis Nita triumphierend einen gelben Ordner hochhielt. Zusammen sahen sie den Inhalt durch. Michael J. und Mercia E. Hayward. Ein Foto der beiden war auch dabei. Mercia war blond, stark geschminkt und blickte kokett in die Kamera. Michael sah aus wie ein Steuerberater. Das Antragsformular war nicht sehr aufschlussreich. Man erfuhr lediglich, wie lange sie bereits verheiratet waren – 21 Jahre –, ihre Adresse in Stellenbosch und ihr monatliches Einkommen (über 125.000 Rand). Dann folgten zwei Dokumente mit dem Logo und dem Briefkopf von Pickford House. Bei dem ersten handelte es sich um eine Bestätigung der Antragsannahme, unterschrieben von D. R. Holtzhausen. Das zweite war eine Liste von Patienten, die für eine Pflegestelle in Frage kamen. Es gab sechs Kandidaten, aber von ihnen wurden keine Namen, sondern nur Nummern genannt, die alle mit 05 begannen.
»Die blauen Akten tragen solche Nummern«, bemerkte Nita.
Fieberhaft suchten sie die Ordner durch, bis sie die aus dem Jahr 2005 fanden. »Hier«, sagte er und ging rasch die Reihe entlang, bis er die erste übereinstimmende Nummer entdeckte. Er zog den Ordner heraus und schlug ihn auf. Ein junges Mädchen, damals sechzehn Jahre. Debbie Ann Williams. Ein Foto von ihr, ihre Patientenangaben, die Daten ihrer Behandlungen und der Hinweis auf einen Platz bei Pflegeeltern.
»Fang schon mal an!«, sagte er und reichte Nita den Ordner. Sie nickte, holte ihr Handy aus der Tasche und legte den Ordner offen auf den Boden, während er den nächsten suchte.
Als er ihr den dritten anreichte, hörten sie Schritte auf dem Flur.
Sie blieben stocksteif stehen und sahen sich an.
Jemand drehte den Türknauf. Stumm formte Nita die Worte:
Keine Sorge
, fischte den Schlüssel aus der Tasche und zeigte ihn October mit schalkhaft funkelnden Augen.
Nie wieder! schwor er sich. Das war das allerletzte Mal!
Von draußen wurde an der Tür gerüttelt.
October hielt die Luft an.
»Ist da jemand?«, fragte eine Männerstimme misstrauisch.
Sah er den Lichtschein, der unter der Tür hindurchfiel?
Wieder wurde an der Tür gerüttelt. Schritte auf dem Flur, die sich von ihnen entfernten.
October atmete ganz langsam aus
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