Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
wahrscheinlich eher damit zu tun hat, dass sie ihre Brille nicht aufsetzt, als mit dem Aussehen der beiden. Um die Sache zu erleichtern: Anna ist ein Neo-Hippie und zieht sich so an, als hätte sie sich aus der Kiste mit den Verkleidungssachen bedient, und Helen ist die mit der psychotischen Aura.
Das A-Modell zeichnet sich dadurch aus, dass es groß und kräftig ist. Nicht unbedingt dick. Nicht unbedingt . Im Gegenteil, Typen des A-Modells können durchaus rank und schlank sein. Vorausgesetzt, sie stecken in einer magersüchtigen Phase – was nicht ganz so unwahrscheinlich ist, wie es klingt. Es ist durchaus schon vorgekommen, jedoch leider nicht bei mir. Ich hatte nie Probleme mit dem Essen; anscheinend – so behauptet Helen wenigstens – mangelt es mir dazu an Fantasie.
Zwar habe ich keine Essprobleme, aber eine leichte Form einer anderen Art von Bulimie – Einkaufsbulimie. Ich gab andauernd mein Geld für überflüssige Dinge aus, die ich dann wieder zurückbrachte. Das hatte erst vor kurzem zu einem enormen Streit geführt, an dem fast die ganze Familie beteiligt war: Helen hatte sich darüber beklagt, wie schwer es sei, mit dem auszukommen, was sie als Visagistin verdiente, und plötzlich stürzte sie sich auf mich und sagte vorwurfsvoll: »Du kannst gut mit Geld umgehen.«
Das passierte recht häufig: Sie alle betrachten mich als diejenige mit dem geordneten und sportlichen Leben – obwohl ich keinen Sport mehr gemacht hatte, seit ich aus Chicago zurückgekommen war – und hatten ein Bild von mir, das seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten, überholt war. Meine Eltern billigten dieses Sepia-getönte Bild von mir aus vollem Herzen, aber meine jüngeren Schwestern sahen in mir jemanden,
über den man sich, zwar mit einer gewissen Zärtlichkeit, uneingeschränkt lustig machen konnte. Die meiste Zeit spielte ich mit, aber an dem Tag wehrte ich mich plötzlich dagegen, dass ich, wenn auch mit einer gewissen Zärtlichkeit, als todsterbenslangweilig betrachtet wurde.
»Wie meinst du das, ich kann mit Geld umgehen?«
»Du kommst mit deinem Geld aus. Du überlegst, bevor du etwas kaufst, und solche Sachen«, sagte Helen höhnisch. »›Kein Borger sei und auch Verleiher nicht.‹ Hahaha.«
»Ich kann überhaupt nicht mit Geld umgehen«, entgegnete ich scharf.
»Aber ja doch!«, sagten sie im Chor – meine Eltern mit Bewunderung. Helen ohne.
»Sie kann nicht mit Geld umgehen«, sagte Garv.
»Danke«, sagte ich in seine Richtung.
»Und ob! Ich wette, du hortest haufenweise Geldscheine in einer Keksdose unter dem Bett.«
»Sie würde das Geld nicht in einer Keksdose aufheben«, verteidigte Dad mich gegen Helen. »Für eine Keksdose kriegst du keine Zinsen. Sie hat ihr Erspartes auf einem Sparkonto mit hohen Zinsen.«
»Welches Ersparte? Ich habe kein Erspartes!«
»Aber du hast doch eine Rentenversicherung, oder?«, fragte Dad besorgt.
»Das ist etwas anderes. Das ist nicht Sparen, und du kriegst das Geld erst, wenn du sechzig bist. Und ich kaufe dauernd Sachen, die ich nicht brauche.«
»Und dann bringst du sie zurück.«
»Aber man kriegt nicht immer das Geld zurück. Manchmal geben sie dir nur einen Gutschein, und das ist dann so, als hätte man das Geld ausgegeben.« Meine Stimme wurde schriller. »Und manchmal verfallen sie, bevor ich sie benutze.«
»Nein!« Mum war entsetzt.
»Aber ich wette, du bezahlst jeden Monat deine Kreditkarte ab«, beharrte Helen.
»Ich zahle meine Kreditkarte nicht JEDEN Monat ab.« Alle saßen mit halb offenen Mündern da, angesichts meines unerwarteten Zorns. »Nur alle PAAR Monate!«
»Oh, was für ein Theater!«
Irgendwie war dies ein merkwürdiger Streit. Viele Menschen stritten sich über Geld – aber normalerweise wurden sie beschuldigt, zu viel Geld auszugeben, und bestanden darauf, dass das nicht stimmte, und nicht andersherum. Ich hatte mich so echauffiert, dass Mum Helen zwang, sich zu entschuldigen. Dann murmelte sie mir zu: »Es ist doch keine Schande, wenn man gutes Geld verdient und ein bisschen auf die hohe Kante legt.«
Genau in dem Moment bestand Garv darauf, dass wir gingen; er war wütend, weil die anderen mich so erzürnt hatten. (Ich hatte ja gesagt, dass Garv immer das Gute in den Menschen sieht, aber bei meiner Familie kommt diese Neigung meistens nicht zum Tragen.)
Auf dem Weg nach Hause sagte ich bekümmert: »Ich weiß, dass alles relativ ist und dass ich mit ihnen nicht mithalten kann, aber ich bin auch neurotisch,
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