Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
auch immer, um noch einmal aufzustehen und ins Bad zu gehen, also nahm ich sie raus und ließ sie in das Glas Wasser fallen, das praktischerweise dastand, und nahm mir vor, sie am Morgen gründlich mit Reinigungslösung zu spülen. Aber als ich am Morgen aufwachte, war meine Zunge ganz ausgetrocknet und klebte am Gaumen fest. Automatisch streckte ich die Hand nach dem Glas aus und trank es in einem Zug leer. Erst als der letzte Schluck durch meine Kehle rann, fielen sie mir wieder ein. Meine Kontaktlinsen. Ich
hatte meine Kontaktlinsen getrunken. Schon wieder. Das dritte Mal in sechs Wochen. Es waren Wegwerflinsen, aber trotzdem.
Und am Tag darauf hatte ich das Pech, meine Stelle zu verlieren.
Mir wurde nicht regelrecht gekündigt, aber mein Vertrag wurde nicht erneuert. Es war ein Sechs-Monats-Vertrag, und seit meiner Rückkehr aus Chicago war er schon fünf Mal erneuert worden, so dass ich gedacht hatte, eine weitere Erneuerung sei lediglich eine Formalität.
»Als Sie hier angefangen haben«, sagte Frances, »da waren wir sehr beeindruckt von Ihnen. Sie haben viel gearbeitet und waren sehr zuverlässig.«
Ich nickte. Sie hatte mich richtig beschrieben. An einem meiner guten Tage.
»Aber in den letzten sechs Monaten ungefähr hat die Qualität Ihrer Arbeit und Ihre Arbeitshaltung nachgelassen, Sie kommen oft zu spät und gehen früh wieder …«
Ich war fast ein wenig überrascht von dem, was sie sagte. Natürlich hatte ich gewusst, dass in meinem Kopf eine ziemlich große Unordnung herrschte, aber ich hatte geglaubt, ich hätte nach außen hin eine ziemlich überzeugende Fassade von Normalität aufrechterhalten.
»… Sie sind oft abgelenkt, und Sie waren zehn Tage krankgeschrieben.«
Ich hätte aufspringen und Frances in einer flammenden Rede erklären können, warum ich abgelenkt war und was mit mir war, als ich krankgeschrieben war, aber ich blieb mit verschlossener Miene auf meinem Stuhl sitzen wie eine Statue. Es ging keinen etwas an außer mir. Doch paradoxerweise fand ich, sie hätte erkennen müssen, dass mein Leben in den letzten Monaten durcheinander geraten war, und Verständnis dafür aufbringen müssen. Dies war offenbar nicht mein rationalster Moment.
»Wir wollen Mitarbeiter, die sich engagieren –«
Ich wollte schon protestieren und einwerfen, dass ich mich sehr engagierte, als mir aufging, dass ich tatsächlich kein bisschen Engagement empfand.
» – und deshalb bedaure ich es sehr, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir Ihren Vertrag nicht erneuern können.«
Es war Jahre her, dass ich entlassen worden war. Das letzte Mal war ich siebzehn und sollte für eine Nachbarin auf ihre Kinder aufpassen. Nachdem die Kinder im Bett lagen, hatte ich meinen Freund ins Haus geschmuggelt – ein Haus ohne Erwachsene bot einen Reiz, dem ich einfach nicht widerstehen konnte. Aber der schreckliche Sohn — passenderweise hieß er Damian – hatte bemerkt, wie ich meinen Freund wieder hinausschmuggelte. Ich werde es nie vergessen: Damian stand oben am Treppengeländer, und seine Miene drückte reine Boshaftigkeit aus. Ich wurde nie wieder gebeten, auf die Kinder aufzupassen. (Um ehrlich zu sein, es war fast eine Erleichterung.)
Doch seitdem war ich nirgendwo entlassen worden. Ich konnte ziemlich gut arbeiten – nicht so gut, dass ich je Gefahr lief, als Arbeitskraft des Monats ausgezeichnet zu werden –, aber ich war ziemlich zuverlässig und produktiv.
»Ich werde entlassen?«, fragte ich schwach.
»Ja.«
»Wann?«
»Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt.«
Seltsamerweise war es die Tatsache, dass ich meine Stelle verloren hatte, die zu meiner Entscheidung führte, Garv zu verlassen. Warum das so kam, kann ich eigentlich gar nicht sagen. Denn schließlich ist es gar nicht so leicht, jemanden zu verlassen. Nicht im wirklichen Leben. Im Roman ist alles immer ganz eindeutig und klar: Wenn es keine Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft gibt, dann geht man natürlich. Ganz einfach. Oder wenn er eine Affäre hat, dann wärst du doch dumm zu bleiben, oder?
Aber es ist erstaunlich, welche Dinge zusammenkommen und bewirken, dass man zusammenbleibt. Man denkt vielleicht: Nun gut, anscheinend machen wir uns gegenseitig nicht mehr glücklich, aber ich verstehe mich so gut mit seiner Schwester, und meine Freunde mögen ihn so sehr, und unsere Leben sind so miteinander verwoben, dass es zu schwierig wäre, sie auseinander zu reißen. Und das ist unser Haus, und
siehst du die Lupinen dahinten im Garten? Die
Weitere Kostenlose Bücher