Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
arbeiten.
Ihr Motto lautete: »Gott wird für uns sorgen«, und wenn Gott es nicht tat, so tat es die Stütze.
Ich beneidete sie um ihre Sorglosigkeit. Nein, das ist komplett gelogen. Ich hätte es gehasst – die Unsicherheit, nie zu wissen, ob man genug hat, um etwas zu essen zu kaufen, von einem Tag zum anderen zu leben, und so.
Das Besondere an Anna ist, dass sie oft eine scharfe, manchmal fast schockierend klare Wahrnehmung hat, aber in praktischen Dingen sehr unbegabt ist, zum Beispiel, wenn es darum geht, dass man sich anziehen muss, bevor man das Haus verlässt. Früher haben wir geglaubt, dass ihre charmante, geistesabwesende Art auf ihre Vorliebe für leichte Drogen zurückzuführen war, aber vor vier Jahren, ungefähr zu der gleichen Zeit wie Rachel, hat sie diese Gewohnheit aufgegeben, und obwohl sie seither womöglich ein wenig klarer ist, ist es schwer, das mit Bestimmtheit zu sagen.
Vor ein paar Monaten, als sie sich von Shane trennte, war sie wieder zu meinen Eltern gezogen. Allerdings hat das bei
ihnen nicht die gleiche Besorgnis ausgelöst, mit der sie möglicherweise bei mir reagieren würden, denn zum einen war Anna nicht verheiratet gewesen, und zum anderen rechneten sie bei ihr ohnehin mit einer gewissen Unstetigkeit.
Vorsichtig machte ich die Wohnzimmertür auf. Sie hockten auf der Couch, guckten Wie werde ich Millionär? und überschütteten die Kandidaten mit Hohn und Spott.
»Die Antwort weiß doch jeder«, sagte Helen in Richtung Bildschirm.
»Was ist denn die Antwort?«, fragte Anna.
»Weiß ich doch nicht. Aber ich muss es auch nicht wissen. Ich verliere nicht gerade dreiundneunzigtausend Pfund. Na, dann mach schon, ruf deinen Freund an, wirst schon sehen, was das nützt, wenn der so dumm ist wie du.«
Warum mussten sie alle zu Hause sein? Warum konnte nicht einfach nur, sagen wir, Anna da sein? Ich hätte es ihr erzählen und dann mit gesenktem Kopf ins Bett schleichen können, und es wäre mir sehr recht gewesen, wenn sie den anderen die Neuigkeit mitgeteilt hätte.
Da entdeckte Mum mich an der Tür.
»Margaret!«, rief sie. Seit Jahren versuche ich ihr beizubringen, dass ich Maggie heiße, aber sie will davon nichts wissen. »Komm rein. Setz dich. Möchtest du ein Eis?« Sie stieß Dad mit dem Ellbogen an. »Hol ihr mal ein Eis.«
»Schokolade? Erdbeer? Oder …« – Dad machte eine wirkungsvolle Pause, bevor er mit dem Glanzstück auftrumpfte – »oder M&Ms? Das ist ganz neu!«
Im Haus meiner Eltern gibt es immer eine wunderbare Auswahl an Süßigkeiten. Anders als in den meisten Familien sind die aber nicht zusätzlich zu den normalen Nahrungsmitteln da, sondern stattdessen. Das Problem bestand nicht so sehr darin, dass meine Mutter keine Lust zu kochen hatte, sondern eher darin, dass wir keine Lust hatten zu essen, was sie kochte. Irgendwann Mitte der Achtziger hörte sie ganz mit dem Kochen auf. »Wozu soll ich kochen, wenn ihr undankbaren Blagen nichts davon esst?«
»Ich esse es«, beschwerte sich Dad, eine Stimme in der Wüste.
Er wurde nicht erhört. Fertiggerichte hielten Einzug, und das machte mich traurig. Ich hatte mich immer nach einer italienischen Familie gesehnt, die sich zum Abendessen um den blank gescheuerten Kiefernholztisch versammelte und Platten und Schüsseln mit dampfenden, selbst gemachten Köstlichkeiten herumreichte, während die rundliche Mamma am Herd stand und strahlte.
Dennoch, ein unbegrenzter Eisvorrat war nicht zu verachten. Anmutig akzeptierte ich das Angebot (ich entschied mich natürlich für M&Ms), schälte das Eis aus seiner Verpackung und sah mir die Sendung bis zum Ende an. Warum auch nicht? Sie würden mir doch nicht zuhören, solange der Fernseher noch lief. Außerdem zögerte ich zu gern den Augenblick hinaus, in dem ich mit den Worten: »Garv und ich haben uns getrennt« herauskam. Ich befürchtete, dass es Wirklichkeit werden würde, sobald ich es laut sagte.
Und dann war es so weit.
Ich seufzte, schluckte die aufsteigende Übelkeit hinunter und begann. »Ich muss euch etwas sagen.«
»Wie schön!« Mum setzte ihre Ich-werde-wieder-Großmutter-Miene auf.
»Garv und ich haben uns getrennt.«
»Oh, Moment!« Mit einem lauten Rascheln verschwand mein Vater hinter seiner Zeitung.
Anna warf sich mir an den Hals, sogar Helen machte ein betroffenes Gesicht, aber meine arme Mutter … Sie sah mich an, als wäre sie von einem herunterfallenden Backstein getroffen worden. Entsetzt, schockiert, fassungslos.
»Gleich sagst
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