Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
habe ich gepflanzt. (Also, ich habe sie nicht im eigentlichen Sinne gepflanzt; das hat Michael, der komische alte Mann, gemacht, den wir dafür angeheuert haben, aber es war meine Idee.)
Jemanden zu verlassen ist eine große Anstrengung. Ich verließ nicht nur einen einzelnen Menschen, sondern ich verabschiedete mich von einem ganzen Leben.
Aber der Schock darüber, dass ich meine Stelle verlor, ließ in mir die Überzeugung aufkommen, dass mein ganzes Leben auseinander gebrochen war. Wenn erst mal die Tür zu einer Katastrophe aufgestoßen war, schienen die Möglichkeiten für neue Katastrophen endlos, und ich hatte das Gefühl, ich konnte nichts anderes tun, als mich fügen, während mein Leben um mich herum in Stücke zerbarst. Du hast deine Arbeit verloren? Warum setzt du nicht alles auf eine Karte und gibst auch deine Ehe auf? In den letzten Monaten hatte unsere ohnehin so viele Rückschläge hinnehmen müssen, dass sie eigentlich nur noch auf dem Papier bestand.
Als Garv nach Hause kam, stand ich im Schlafzimmer bis zu den Hüften in meinen Sachen und versuchte, einen Koffer zu packen. Die meisten Menschen (wenn sie so sind wie ich) häufen zu viele Dinge an.
Er stand da und sah mich an, und es kam mir vor, als träumte ich das Ganze.
Er schien überrascht. Vielleicht aber auch nicht. »Was machst du da?«
Das war mein Stichwort für die dramatischen Schlusszeilen, die im Roman immer vorkamen: Ich verlasse dich! Es ist vorbei!
Stattdessen ließ ich den Kopf hängen und murmelte: »Ich glaube, ich sollte ausziehen. Wir haben alles versucht und …«
»In Ordnung«, sagte er und schluckte. »In Ordnung.« Dann nickte er, und das war das Schlimmste. Es lag so viel Resignation darin. Er stimmte mir offenbar zu.
»Ich bin entlassen worden.«
»Himmel. Was ist passiert?«
»Ich war zu oft abgelenkt und habe mich krankschreiben lassen.«
»Schweinebande.«
»Na ja, so ist das.« Ich seufzte. »Das Problem ist nur, vielleicht kann ich diesen Monat meinen Anteil für das Haus nicht bezahlen – ich gebe dir das Geld aus meinem Hübsche-Kleinigkeiten-Konto.«
»Mach dir keine Gedanken. Ich übernehme das.«
Dann schwiegen wir, und es wurde mir klar, dass er außer dem Darlehen nichts anderes übernehmen würde.
Vielleicht hätte ich wütend auf ihn und die Schokotrüffel-Frau sein sollen. Vielleicht hätte ich ihn verachten sollen, weil er nicht beherzt das Wort ergriff und mir leidenschaftlich versprach, mich niemals gehen zu lassen; es würde alles wieder besser werden.
Aber in Wahrheit wollte ich in diesem Moment gehen.
3
S ozial dysfunktional. So würde ich meine Familie gern beschreiben, die Familie Walsh. Also, das heißt, gern würde ich sie so nicht beschreiben. Gern würde ich sie als Prototyp für die Bradys aus der Fernsehserie Drei Mädchen und drei Jungen beschreiben. Gern würde ich sie wie die Waltons beschreiben. Doch sozial dysfunktional – eine bessere Beschreibung finde ich für sie nicht.
Ich habe vier Schwestern, und das Motto, nach dem sie ihr Leben ausrichten, ist anscheinend: je mehr Drama, desto besser. (Hier ein paar Beispiele: Claires Mann hat sie an dem Tag verlassen, als sie ihr erstes Kind bekam; Rachel ist eine Drogensüchtige (jetzt clean); Anna lebt irgendwo, aber nicht in der Wirklichkeit; und Helen, die Jüngste, also, es fällt mir schwer, sie zu beschreiben …) Ich selbst fand Chaos nie erstrebenswert und konnte nicht begreifen, warum ich so anders bin. Wenn ich mich besonders einsam fühlte, habe ich mich mit der Fantasievorstellung aufrechtgehalten, dass ich adoptiert war. Richtig hingeben konnte ich mich ihr jedoch nicht, weil es von meinem Äußeren so klar war, dass ich eine von ihnen war.
Meine Schwestern und mich gibt es in zwei Ausführungen: das A-Modell und das B-Modell. Das A-Modell ist groß, sieht gesund und kräftig aus und neigt, wenn man es unbeaufsichtigt lässt, zu ausladenden Formen. Ich bin ein typisches A-Modell. Meine älteste Schwester Claire und Rachel, die Schwester nach mir, sind auch A-Modelle.
Das B-Modell hingegen ist klein, süß wie ein Kätzchen und bildhübsch. Mit ihrem langen schwarzen Haar, den schrägen grünen Augen und den schlanken Gliedmaßen verkörpern Anna und Helen, meine jüngeren Schwestern, dieses Modell perfekt. Obwohl Anna fast drei Jahre älter ist als Helen, sehen sie fast wie Zwillinge aus. Manchmal kann auch unsere Mutter sie nicht auseinander halten – obwohl das, wenn ich es recht bedenke,
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