Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
selbst als ich in der Jerry-Springer-Show zusah, wie zwei dicke Mädchen sich schlugen und Jerry Springer so tat, als sei er entsetzt, untersuchte ich in einem anderen Teil meines Gehirns die letzten Monate mit der Lupe, suchte nach Hinweisen und fand nichts.
Aber irgendwie war ich der Ansicht, dass ich kein Recht hatte, mich über die Frau aufzuregen, und dass es ohnehin nicht mehr wichtig war. Ob es sie gab oder nicht – unsere Ehe war vorbei.
Ich war seit ungefähr vierundzwanzig Stunden bei meinen Eltern, als die Reaktion einsetzte. Ich saß gerade teilnahmslos vor dem Fernseher, und plötzlich sank meine Körpertemperatur rapide. Obwohl es warm im Zimmer war (viel zu warm), hatte sich die Haut auf meinem Arm wie eine Frischhaltefolie bei Hitze zusammengezogen, und die Härchen standen senkrecht auf der Gänsehaut. Als ich die Augen auf und zu machte, taten mir die Augenhöhlen weh. Dann stellte ich fest, dass sich um meinen Kopf eine dicke Schicht Watte gelegt hatte,
dass meine Knochen schmerzten und ich nicht einmal die Energie hatte, die Fernbedienung in die Hand zu nehmen. Mit benommenem Kopf sah ich mir Animal Hospital an und wünschte mir, ich könnte es abschalten. Was hatte ich nur?
»Was hast du nur?« Mum war ins Zimmer gekommen. »Herr im Himmel! Was machen sie nur mit dem armen Schäferhund?«
»Er hat Hämorrhoiden.« Meine Zunge gehörte einer anderen, einer mit einem viel größeren Mund. »Und ich glaube, ich habe Grippe.«
»Meinst du wirklich?«
»Mir ist kalt und alles tut mir weh.« Mir, der robusten Maggie, die nie krank wird.
»Ich wusste gar nicht, dass Hunde Hämorrhoiden bekommen können.« Ihre Augen klebten immer noch am Bildschirm.
»Vielleicht hat er auf einer kalten Treppe gesessen. Ich glaube, ich habe Grippe«, wiederholte ich, diesmal etwas lauter.
Sie drehte sich zu mir um. »Du siehst nicht gerade blendend aus«, stimmte sie mir zu. Sie sah besorgt aus. Fast so besorgt, wie sie eben noch um den Schäferhund gewesen war.
Sie legte mir eine Hand auf die Stirn. »Vielleicht hast du Fieber.«
»Natürlich habe ich Fieber«, krächzte ich. »Ich habe Grippe.«
Sie fand das Fieberthermometer und schüttelte es mit den typischen energischen Bewegungen, mit denen man ein Thermometer schüttelt, bevor man die Temperatur misst: eine Armbewegung, als wollte man das Glasröhrchen quer durchs Zimmer schleudern und unterließe es dann im letzten Moment. Doch obwohl sie alles nach Vorschrift machte, hatte ich kein Fieber.
»Allerdings kann man sich nicht sicher sein«, sagte sie und warf einen kritischen Blick auf das Thermometer. »Wir haben das Ding seit dreißig Jahren und es hat nie richtig funktioniert.«
Ich ging um halb zehn ins Bett und wachte erst um zwei am nächsten Nachmittag wieder auf. Ich lag immer noch genauso da, wie ich eingeschlafen war, als hätte ich mich die
ganze Zeit nicht bewegt. Ich fühlte mich kein bisschen besser, sondern eher schlechter. Lethargisch und hoffnungslos. Ich war kreuzunglücklich.
Nie hätte ich geglaubt, dass man vor Traurigkeit krank werden kann. Ich hatte das immer für eine unsinnige Theorie gehalten, die nur in viktorianischen Romanen vorkam. Doch im Laufe der folgenden Woche begriff ich, dass mir nichts fehlte, jedenfalls körperlich nicht. Ich hatte kein Fieber, außerdem steckte sich niemand bei mir an.
Der Grund für mein Befinden hatte allein emotionale Ursachen. Übelkeit vor Trauer. Mein Körper begehrte gegen die Trennung von Garv auf, als wäre sie ein Bazillus.
Ich konnte nicht aufhören zu schlafen. Ich schlief tief, wie betäubt, und wurde nie richtig wach. Und wenn ich halbwegs zu Bewusstsein kam, konnte ich kaum die kleinsten Verrichtungen bewältigen. Es gab wahrhaftig genug, worum ich mich kümmern musste, das war mir klar. Ich musste mir eine neue Arbeit suchen. Ich musste mein altes Leben aufräumen. Ich musste ein neues Leben aufbauen. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich mich unter Wasser bewegte. Dass ich mich ganz langsam gegen die Widerstände der Welt bewegte.
Wenn ich mich unter die Dusche stellte, fühlte sich das Wasser auf meiner empfindlichen Haut wie niederprasselnder Kies an. Im Haus war es zu laut – jedesmal, wenn eine Tür zugeschlagen wurde, klopfte mein Herz wie rasend. Als Dad einen Topf scheppernd zu Boden fallen ließ, erschreckte ich mich dermaßen, dass sich meine Augen mit Tränen füllten. Ich war dauerhaft deprimiert, als wäre ein grau verhangener Himmel direkt über meinem
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