Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
Bett zu kriechen, und Helen, die keine Lust hatte, mit einer »wandelnden Bierbrauerei« zu schlafen, hatte sie aus dem Bett auf den Fußboden geschubst.
»Aber wenigstens habe ich nicht mit ihm geschlafen«, sagte Anna am nächsten Morgen, als sie ihre blauen Flecke begutachtete. »Gut, ich habe mich in ein Koma getrunken und beinahe das Haus abgefackelt, aber wenigstens habe ich nicht mit ihm geschlafen.«
»Das ist ein Fortschritt«, bestärkte ich sie.
Irgendwann in der zweiten schrecklichen Woche musste ich etwas tun, aber es gab nur wenige Möglichkeiten.
»Mach einen Spaziergang«, schlug Dad vor. »Geh frische Luft schnappen.«
Ich hatte noch nie so richtig verstanden, was mit einem Spaziergang eigentlich gemeint war. Und auch in meiner sportlichsten Phase hatte mir die Idee, einen Spaziergang durch die Vorstädte zu machen, nicht besonders zugesagt. Aber ich war in einem so miserablen Zustand, dass ich bereit war, es zu probieren.
»Zieh den Mantel an«, riet er mir. »Es könnte regnen.«
»Es ist Juni.«
»Wir sind in Irland.«
»Ich habe keinen Mantel.« Also, ich hatte schon einen, aber der war bei mir zu Hause. In Garvs Haus. Ist ja klar, welches
ich meine. Ich hatte Angst, dorthin zu gehen, falls die Frau inzwischen dort eingezogen war. Möglicherweise klingt das sehr übertrieben, aber mein Gefühl sagte mir, dass alles möglich sei.
»Nimm meinen.« Dads Anorak war aus rotem Nylon, schrecklich, aber ich sehnte mich nach Zärtlichkeit und konnte nicht widerstehen, als er mir hineinhalf.
So marschierte ich los. Keine große Unternehmung. Ich ging die zweihundert Meter zum Park, setzte mich auf eine Mauer und sah ein paar Jugendlichen zu, die das taten, was Jugendliche in Parks tun: heimlich rauchen und sich irgendwelche halbwahren Sachen über Sex erzählen, was immer.
Ich fühlte mich erbärmlich. Der Himmel war eine einheitlich graue und unbewegliche Decke, auch die Teile, die sich nicht unmittelbar über meinem Kopf befanden. Als ich mich nach einer Weile immer noch nicht besser fühlte, beschloss ich, wieder nach Hause zu gehen. Es war bestimmt wieder Zeit für irgendeine Talkshow. Warum sollte ich sie verpassen?
Ich trottete also hügelabwärts, als eine Gestalt entfernt meine Aufmerksamkeit erregte. Ich sah richtig hin. Es war ein Mann, der ungefähr fünfzig Meter vor mir etwas aus dem Kofferraum eines Autos holte. Ach du lieber … Gott. Shay Delaney. Also, eine Sekunde lang dachte ich, er sei es, aber dann sah ich deutlich, dass er es nicht war. An dem Mann war etwas, das mich vage an Shay erinnerte, und schon das reichte, um mich nervös zu machen.
Doch als ich weiterging, merkte ich – und mir wurde fast schwindlig –, dass er es doch war. Anders, aber immer noch der Gleiche. Er war verändert, weil er älter aussah; das gefiel mir, doch dann wurde mir klar, wenn er älter aussah, dann traf das auch auf mich zu.
Er lud den Kofferraum seines Wagens aus und stapelte die Sachen am Gartentor vor dem Haus seiner Mutter. Wieso hatte ich ihn nicht gleich erkannt? Er stand vor seinem eigenen Haus. Das heißt, vor dem Haus, in dem er gewohnt hatte, bis er vor fünfzehn Jahren auszog, um aufs College zu gehen. Vor fünfzehn Jahren . Wie war das möglich? Ich bin jetzt noch jung
und war damals schon erwachsen, da ist kein Platz für fünfzehn Jahre. Wieder ein Schwindelgefühl.
Ich konnte ihm unmöglich gegenübertreten. Nicht jetzt, nicht mit dieser Schmach. Ich verspürte ein mächtiges Bedürfnis, umzukehren und in die Richtung zu verschwinden, aus der ich gerade gekommen war, und nach hastigem Abwägen war es nur die Angst, dass er das bemerken könnte, die mich daran hinderte.
Dass ich ihm jetzt begegnen musste, dachte ich empört. Dass ich gerade jetzt das Fragespiel Wie ist es dir ergangen? durchstehen musste. Warum konnte ich ihn nicht zufällig treffen, als ich eine Ehe hatte, auf die ich stolz war, als ich glücklich war?
Natürlich musste ich ihm nicht erzählen, wie sehr alles schief gelaufen war. Aber würde er es nicht merken, war es nicht offensichtlich …?
Auf wackligen Beinen ging ich weiter den Hügel hinunter, direkt auf ihn zu.
Jahrelang hatte ich davon geträumt, ihm wieder über den Weg zu laufen. Immer wieder fand ich Trost in einem ausgeklügelten Plan: Bei unserer Begegnung wäre ich dünn, schön, schick angezogen, perfekt beleuchtet. Ich hätte Haltung, Selbstbewusstsein, mein Leben fest im Griff.
Und mit seinem attraktiven Äußeren, so hatte
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