Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
Schweigen. »Wie geht’s bei der Arbeit?«
4
I ch fürchtete mich vor der ersten Nacht ohne Garv. (Und vor allen weiteren Nächten, aber vor der ersten besonders.) Ich würde nicht schlafen können, dessen war ich mir sicher, denn so erging es doch Menschen, die unter emotionalem Stress standen, oder? Aber ich hätte mir keine Sorgen machen sollen: Ich schlief wie ein Stein und wachte in einem Bett und in einem Zimmer auf, das ich nicht wiedererkannte. Wo bin ich? Einen Moment lang war meine Neugier richtig angenehm, dann stürzte die Wirklichkeit auf mich ein.
An jenem Tag fühlte ich mich so verloren wie nie zuvor in meinem Leben. Da ich keine Arbeit hatte, zu der ich gehen musste, blieb ich fast den ganzen Tag in meinem Zimmer, um meiner Mutter nicht im Weg zu sein. Obwohl sie unentwegt davon sprach, dass es nur eine Phase sei und dass ich in kürzester Zeit wieder mit Garv zusammen sein würde, war meine Beliebtheit bei ihr momentan auf einen absoluten Tiefpunkt gesunken.
Helen hingegen behandelte mich wie eine Freak-Show auf Durchreise und kam in mein Zimmer, bevor sie sich zur Arbeit aufmachte. Auch Anna kam herein und versuchte, mich zu beschützen.
»Mein Gott, du bist ja immer noch da«, wunderte sich Helen, als sie ins Zimmer spaziert kam. »Dann hast du ihn also wirklich verlassen? Aber das ist doch ein riesiger Irrtum, Maggie, du machst doch solche Sachen nicht.«
Ich musste an ein Gespräch denken, das meine Schwestern und ich beim letzten Weihnachtsfest hatten – wir saßen im Haus fest und hatten nicht einmal einen Harrison-Ford-Film, mit dem wir uns ablenken konnten, und fingen an uns auszudenken, welche Nahrungsmittel wir wären, wenn wir keine Menschen wären. Wir fanden, dass Claire grünes Currygewürz war, weil sie so feurig-scharf war, und Helen schlug vor, dass Rachel ein Gummibärchen wäre, was Rachel sehr gut gefiel. »Weil ich so süß bin, stimmt’s?«
»Nein, weil ich dir am liebsten den Kopf abbeißen würde.«
Anna war ein Huhn, »ein ziemlich verrücktes«, sagte Helen. Und ich war »Joghurt natur bei Zimmertemperatur«.
Also gut, mir war klar, dass ich niemals ein After Eight sein würde (»dünn und elegant«) oder ein Ingwer-Keks (»knusprig und interessant«), aber als Lasagne (»vielschichtig und verschwiegen«) fand ich mich durchaus geeignet. Stattdessen war ich das Langweiligste, das Geschmacksneutralste, was ihnen in den Sinn kam – Joghurt natur bei Zimmertemperatur. Das versetzte mir einen tiefen Stich, und selbst als Claire sagte, Helen sei eine Zibetfrucht, weil sie so stinkig und in mehreren Ländern verboten sei, konnte das meine Stimmung nicht heben.
Wieder in der Gegenwart, hörte Helen nicht auf, mich zu piesacken. »Du bist einfach nicht der Typ, der seinen Ehemann verlässt.«
»Nein, eine gescheiterte Ehe ist nicht das, was man von einem Joghurt natur bei Zimmertemperatur erwartet, hab ich Recht?«
»Was!?« Helen klang verwirrt.
»Ich habe gesagt: Eine gescheiterte Ehe ist nicht das, was man von einem Joghurt natur bei Zimmertemperatur erwartet, hab ich Recht?«
Sie warf mir einen seltsamen Blick zu, murmelte etwas von Brautjungfern, die wie Elefantenmenschen aussahen, nur was sollte sie dagegen tun, und ging. Anna schlüpfte neben mir ins Bett und schob ihren Arm unter meinen.
»Joghurt natur kann köstlich sein«, sagte sie leise. »Er schmeckt sehr gut zu Curry. Und …« Nach einer langen Pause
des Nachdenkens fuhr sie fort: »Und es heißt, er hilft bei Pilzentzündungen.«
Ich lungerte im Haus herum und wusste nicht richtig, warum ich da war. Ich ließ mich von Fernsehsendungen berieseln: »Crack rauchen ist auch nicht das Gelbe vom Ei«, »Mädel, dein Arsch ist breiter als mein Auto«. Wenn eine Sendung vorbei war und ich mich umsah, war ich verwirrt, weil ich mich nicht in den Hochhaussiedlungen von Chicago befand, sondern in einem bürgerlichen Haus mit geblümten Gardinen und Porzellanfiguren in einem Vorort von Dublin. Wie bin ich wieder hier gelandet? Was ist passiert?
Ich kam mir wie eine schreckliche Versagerin vor und hatte Angst, das Haus zu verlassen. Und ich dachte an Garv und die Frau – fast die ganze Zeit. So viel, dass ich meinen unerträglich juckenden Arm mit meiner verhassten Steroid-Salbe einreiben musste. Es peinigte mich, dass ich nicht wusste, wer sie war. Wer war sie? Wie lange kannten sie sich schon? Und – gütiger Himmel – war es etwas Ernstes? Die Fragen rasten mir immer wieder durch den Kopf;
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