Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
Stabilität darstellte. Meine Normalität, so folgerte ich, war mein größter Anziehungspunkt.
Also machte ich, oberflächlich und eitel, wie ich war, mit Garv Schluss. Wir sagten, wir wollten beide Schluss machen, und nahmen uns vor, trotzdem Freunde zu bleiben – alles Schwachsinn, den Teenager so reden –, aber die Wahrheit sah so aus, dass ich Garv wegen Shay den Laufpass gab. Garv wusste das so gut wie ich, denn von dem Moment an, als Shay Interesse an mir zeigte, hatte Garv keine Chance mehr.
Später am Abend schlich Dad sich mit einer braunen Papiertüte unterm Arm in mein Zimmer. »McDonald’s!«, erklärte er. »Dein Lieblingsessen.«
Als ich elf war, vielleicht, aber ich freute mich, Gesellschaft zu bekommen. »Chicken Nuggets«, verkündete er stolz, »mit zwei Soßen.«
»Wieso bringst du mir das?«
»Du musst was essen. Und deine Mutter …« Er brach ab und seufzte, seine Miene war verlegen. »… sie gibt sich alle Mühe.«
Seit dem Abend, als ich Garv verlassen hatte, war mir der Gedanke an Essen zuwider – nicht, dass mir davon übel wurde, es erstaunte mich einfach nur. Aber jetzt musste ich es versuchen, denn Dad hatte nicht nur Chicken Nuggets geholt, sondern auch eine große Tüte Pommes frites und eine Cola und, so wie es aussah, ein schönes Essen für sich selbst. Dazu bekam man einen Roboter umsonst.
»Iss von den Pommes!«
Lieber hätte ich den Roboter gegessen, aber weil Dad mir Leid tat, gab ich mir Mühe. Die Pommes klebten mir im Mund wie ein Fremdkörper. Er sah mich besorgt an, und ich versuchte, mit trockenem Mund zu schlucken.
»Möchtest du was trinken?«, fragte er. »Brandy, Wodka, Cider?«
Ich war verblüfft. Das war eine der merkwürdigsten Fragen, die mir je im Leben gestellt worden waren, ohne Ausnahme. Bei meinen Eltern gibt es Alkoholisches zum Essen nur zu Weihnachten, wenn sie eine Flasche warmen Moselwein aufmachen – vorausgesetzt, eine meiner Schwestern hat sie nicht schon eher entdeckt und ausgetrunken. Außerdem gab es keinen – was hatte er vorgeschlagen? – Brandy, Wodka oder Cider im Haus. Doch dann wurde mir klar, dass Dad mir nichts zu trinken anbot. Er war nur neugierig und wollte rausfinden, wie schlimm es um mich stand.
Ich schüttelte den Kopf: »Ich will keinen Drink.« Das würde sich übel rächen. Wenn ich deprimiert war, hatte Alkohol keine aufheiternde Wirkung auf mich, sondern machte alles eher noch schlimmer – so dass ich jammerig und voller Selbstmitleid war. »Wenn ich mich betrinken würde, dann würde ich mich wahrscheinlich umbringen.«
»Dann ist es ja gut. Wunderbar.« Plötzlich war er so glücklich wie sein Essen. Er aß erleichtert und mit Appetit, versuchte, den Roboter in Gang zu setzen – »Wie das wohl funktioniert?« –, und ging dann wieder runter.
Ein paar Minuten später war er zurück. »Emily ist am Apparat.«
5
E mily ist meine Freundin. Meine beste Freundin, und seit es zwischen Garv und mir zu knirschen angefangen hat, ist sie meine allerbeste Freundin auf der ganzen Welt.
Wir haben uns in der Hauptschule kennen gelernt, als wir spindelige Zwölfjährige waren, und uns gegenseitig sofort als verwandte Geister erkannt. Wir waren Außenseiter. Keine Unberührbaren, aber weit davon entfernt, die beliebtesten Mädchen in der Klasse zu sein. Das Problem bestand zum Teil darin, dass wir gut in Sport waren: Mädchen, die echt cool waren, rauchten und Briefe, angeblich von ihren Eltern, in die Schule brachten, mit denen sie sich wegen einer Erkältung vom Sportunterricht befreien ließen. Und dass wir kein Interesse an den üblichen Teenager-Experimenten mit Zigaretten und Alkohol hatten, sprach auch gegen uns. Ich hatte zu viel Angst, mir Ärger einzuhandeln, und Emily sagte, es sei reine Geldverschwendung. Einmütig bezeichneten wir es als »dumm«.
Als Schulkind war Emily klein und dünn und sah aus wie E.T. mit einer schlechten Dauerwelle. Nicht zu vergleichen mit ihrem Aussehen heute. Sie ist immer noch klein und dünn, aber heute wissen wir ja, dass das sehr erstrebenswert ist. Gerade das Dünnsein. Aber die Zeiten der schlechten Dauerwelle (die gar keine Dauerwelle war, sondern eine Naturkrause) sind vorbei. Ihr Haar ist jetzt schön geschwungen und glänzend und sehr beeindruckend, obwohl sie sagt, mit ihrem Haar im
Naturzustand könne sie auch heute noch als Double für einen von den Jackson Five auftreten, und manchmal müsse ihr Friseur sich mit dem Fuß auf ihre Brust stemmen und
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