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Auszeit für Engel: Roman (German Edition)

Auszeit für Engel: Roman (German Edition)

Titel: Auszeit für Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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ich mir ausgemalt, wäre es vorbei gewesen. Er wäre auf einen Meter fünfundsechzig geschrumpft, sein dunkelblondes Haar wäre ihm ausgegangen, und er hätte einen Bauch bekommen. Doch soweit ich sehen konnte, hatte er seine Haare noch und war so groß wie eh und je, und wenn er nicht mehr so dünn war wie früher, so hatte es leider die Wirkung, dass es ihm gut stand.
    Wenn man dagegen mich ansah: Trainingshosen, die Aura des Scheiterns, das starre Gesicht mit dem merkwürdigen Ausdruck. Fast war es zum Lachen. Die Strähnchen waren der einzige Pluspunkt, den ich vorweisen konnte – als die Friseurin es vorschlug, hatte ich gezögert, aber jetzt konnte ich darüber glücklich sein.
    Ich kam näher. Und näher. Er bemerkte mich nicht. Nicht
einen Moment. Es schien, als würde ich mit meinem ungeschminkten, bleichen Gesicht, dem Anorak meines Dads, der Trostlosigkeit der kürzlich Getrennten entkommen können. Dann war ich unmittelbar neben ihm, ich ging an ihm vorbei, und er guckte immer noch nicht. Und aus einem komischen Trotzgefühl heraus beschloss ich, wenn er mich nicht ansprechen würde, dann würde ich es tun.
    »Shay?«
    Er sah erschrocken auf, was mir, so muss ich gestehen, ein Gefühl der Genugtuung gab.
    »Maggie?« Er erstarrte in seiner Bewegung und richtete sich dann auf. »Maggie Walsh?«
    »Garvan«, verbesserte ich ihn verlegen, »Maggie Garvan, aber ich bin’s.«
    »Stimmt ja«, sagte er freundlich, »ich hatte gehört, dass du geheiratet hast. Wie geht’s denn, ehm, Garv?«
    »Gut«, sagte ich, ein bisschen auf der Hut.
    Wir schwiegen – ein eher unbehagliches Schweigen, dann verdrehte er im gespielten Schock die Augen. »Meine Güte, Maggie Walsh. Lange her, was? Und?« Noch bevor er fragte, wusste ich schon, was er fragen würde. »Kinder?«
    »Nein. Du?«
    »Drei. Kleine Biester.« Er schnitt eine Grimasse.
    »Kann ich mir vorstellen. Hahaha.«
    »Du siehst fantastisch aus!«, erklärte er. Entweder war er blind oder verrückt, aber er sagte es in einem so aufrichtigen Ton, dass ich ihm halb glaubte.
    »Wie geht’s deiner Mum?« Als wäre er wirklich interessiert. »Wie läuft es mit dem Kochen?«
    »Ach, das hat sie aufgegeben.«
    »Sie ist eine großartige Frau«, sagte er bewundernd. »Und dein Dad? Macht ihr ihm immer noch das Leben schwer?«
    »Aber ja.«
    »Und was machst du beruflich?«
    »Vertragsrecht.«
    »Wirklich? Toll.«
    »Ja, wirklich toll. Und du?«
    »Ich arbeite für Dark Star Productions.«
    »Hab von denen gehört.« Ich hatte irgendwas in der Zeitung darüber gelesen, konnte mich aber nicht mehr genau erinnern, deswegen sagte ich noch einmal: »Wirklich toll.«
    Dann sagte er: »War toll, dich zu sehen«, und streckte seine Hand aus. Ich sah sie verständnislos an – aber nur für einen Augenblick: Er erwartete, dass ich sie schüttelte. Als wären wir Geschäftskollegen. Als meine Handfläche sich an seiner rieb, musste ich daran denken, dass dies die Hand war, die er mir immer auf den Mund gelegt hatte. Um mein Stöhnen zu unterdrücken. Wenn wir miteinander schliefen.
    Wie komisch das Leben ist.
    Er hatte sich schon abgewandt. »Sag deinen Eltern schöne Grüße von mir.«
    »Garv auch?« Ich konnte es mir nicht verkneifen.
    »Klar. Garv auch.«
    Als ich weiterging, fühlte ich mich gut. Ich konnte es kaum glauben. Ich hatte ihn endlich wieder gesehen, ich hatte mit ihm gesprochen, und ich fühlte mich gut. So viele Jahre lang hatte ich mir das ausgemalt, und ich fühlte mich gut. Gut . In Hochstimmung tanzte ich nach Hause.
    Kaum war ich im Haus, fing ich an zu zittern. Ich zitterte so sehr, dass ich den Reißverschluss an dem Anorak nicht aufbekam. Zu spät fiel mir ein, dass ich nicht nett hätte sein sollen. Ich hätte kalt und hässlich sein sollen, so, wie er mich damals behandelt hatte.
    Mum kam in den Flur. »Bist du jemandem begegnet?«, fragte sie, und ihre Neugier setzte sich einen Moment gegen ihre ablehnende Haltung mir gegenüber durch.
    »Nein.«
    »Niemandem?«
    »Nein.«
    Sie hatte Shay Delaney geliebt. Er war der Traum einer jeden Mutter; schon damals sah er männlich aus mit seinem goldenen Bartwuchs, während die anderen Jungen noch roh und ungeformt waren. Den Grund für seine Männlichkeit sah sie darin, dass Shays Vater die Familie verlassen hatte und Shay schon früh die Rolle des Familienoberhaupts übernommen hatte.
    Die anderen Jungen in der Gruppe – Micko, Macker, Toolser, sogar Garv – waren in der Gesellschaft Erwachsener

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