Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
Fernbedienung in die Hand und schaltete den Fernseher ein. Ich wartete darauf aufzuwachen.
2
D en restlichen Abend über sprachen wir nicht miteinander. Vielleicht hätte ich schreien und nach Einzelheiten fragen sollen: Wer ist sie? Wie lange geht es schon? Aber auch in guten Zeiten war das nicht meine Art, und nach allem, was wir in letzter Zeit durchgemacht hatten, war meine Kraft für einen Streit verbraucht.
Wenn ich nur mehr wie meine Schwestern wäre, die konnten ihren Schmerz wunderbar ausdrücken – wenn es darum ging, Türen zu knallen, mitten im Gespräch den Hörer hinzuwerfen, Dinge an Wände zu schmeißen und rumzubrüllen, waren sie Weltmeister. Die ganze Welt erfuhr von ihrem Zorn, ihrer Enttäuschung, den Betrügereien des Mannes, der Mousse au chocolat, die jemand aufgegessen hatte. Aber ich bin nicht mit diesem Diva-Gehabe ausgestattet, so dass ich, als das Unglück über mich hereinbrach, dazu schwieg und es im Kopf drehte und wendete in dem Versuch, es zu verstehen. Mein Unglück war wie ein nach innen wachsendes Haar, das sich immer tiefer eingrub. Aber was reingeht, muss auch rauskommen, und mein Schmerz äußerte sich unweigerlich als schuppiges, offenes, nässendes Ekzem am rechten Arm. Es war ein untrügerisches Barometer für meinen emotionalen Zustand, und in jener Nacht juckte und zwickte es so heftig, dass ich es blutig kratzte.
Ich ging vor Garv ins Bett und schlief zu meiner Überraschung sogar ein – vielleicht wegen des Schocks? Dann wachte
ich zu einer unbestimmten Stunde auf und starrte in das alles verhüllende Dunkel. Wahrscheinlich war es vier Uhr morgens. Vier Uhr morgens war die dunkelste Zeit, dann sind wir an unserem absoluten Tiefpunkt. Um vier Uhr morgens sterben Kranke. Um vier Uhr morgens bricht der Widerstand der Gefolterten.
Ich hatte einen körnigen Geschmack im Mund, und mein Kiefer tat weh: Offenbar hatte ich wieder mit den Zähnen geknirscht. Kein Wunder, dass mein Backenzahn sich schmerzhaft meldete – ein letzter verzweifelter Versuch, Hilfe zu bekommen, bevor ich ihn vollends zu Pulver zermahlte.
Dann, unter innerlichem Winden, stellte ich mich der widerlichen Enthüllung: Garv und die Schokotrüffel-Frau – hatte er wirklich eine Affäre mit ihr?
Es war sehr schmerzhaft, aber ich musste mir eingestehen, dass es wahrscheinlich so war: Die Zeichen deuteten darauf hin. Würde ich die Sache von außen betrachten, käme ich auf jeden Fall zu dem Schluss, dass er eine Affäre hatte, aber es ist schließlich etwas anderes, wenn es das eigene Leben ist, das so auf dem Prüfstein steht, oder? Meine Angst davor, dass so etwas passieren könnte, war so groß gewesen, dass ich mich schon halbwegs darauf eingestellt hatte. Doch jetzt, da der Fall offenbar eingetreten war, konnte ich gar nicht damit umgehen.
Seine Augen hatten so geleuchtet, als er »ihre« Pralinen bemerkte … Schrecklich, Zeuge davon zu werden. Ganz bestimmt hatte er etwas mit ihr. Aber ich konnte es nicht fassen und weigerte mich, es zu glauben. Ich meine, wenn er etwas mit einer Frau hatte, hätte ich es dann nicht bemerkt?
Das Beste wäre, ihn zu fragen und den Spekulationen ein Ende zu machen, aber er würde sicherlich das Blaue vom Himmel runterlügen. Schlimmer noch, er könnte mir die Wahrheit sagen. Aus dem Nichts fiel mir eine Zeile aus einem schlechten Film ein: »Die Wahrheit? (Gesprochen mit gekräuselten Lippen.) Du könntest die Wahrheit nicht ERTRAGEN.«
Die Gedanken kamen ungebeten. Könnte es eine Frau aus seiner Firma sein? Hatte ich sie vielleicht bei der Weihnachtsfeier gesehen? Ich ging in meiner Erinnerung jenen
Abend durch und versuchte, einen bedeutungsvollen Blick oder eine verräterische Bemerkung zu entdecken, aber ich erinnerte mich nur daran, dass er mit Jessica Benson, einer Kollegin, die Hora getanzt hatte. Könnte sie es sein? Aber sie war so nett zu mir gewesen. Doch wer weiß, vielleicht wäre ich auch nett zu der Ehefrau eines Mannes, mit dem ich eine Affäre hatte …
Außer den Frauen, mit denen Garv arbeitete, waren da noch die Ehefrauen und Freundinnen seiner Freunde – und natürlich meine Freundinnen. Ich schämte mich, dass mir dieser Gedanke gekommen war, aber ich konnte nicht anders; plötzlich traute ich niemandem mehr und verdächtigte alle.
Was war mit Donna? Sie und Garv amüsierten sich immer prächtig, außerdem nannte sie ihn Doctor Love. Mir wurde ganz kalt, als mir einfiel, dass ich mal gelesen hatte, Kosenamen seien ein sicheres
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