Auszeit
wirklich bereichern?
Wann habe ich schon die Erfahrung gemacht, wie erfüllend und befreiend Aufräumen und Entrümpeln sein kann?
Welche Bereiche in meinem Leben möchte ich in nächster Zeit von Ballast befreien, und wann werde ich das tun?
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|65| Selbstbetrug
Ein Kaufmann hatte hundertfünfzig Kamele, die seine Stoffe trugen, und vierzig Knechte und Diener, die ihm gehorchten.
An einem Abend lud er seinen Freund Saadi zu sich.
Die ganze Nacht fand er keine Ruhe und sprach fortwährend über seine Sorgen, Nöte und die Hetze seines Berufes. Er erzählte von seinem Reichtum in Turkestan, sprach von seinen Gütern in Indien, zeigte die Grundbriefe seiner Ländereien und seine Juwelen.
»Oh Saadi«, seufzte der Kaufmann. »Ich habe nur noch eine Reise vor. Nach dieser Reise will ich mich endlich zu meiner wohlverdienten Ruhe setzen, die ich so ersehne wie nichts anderes auf der Welt.«
»Und wohin soll die Reise gehen?«, fragte sein Freund. Die Augen des Kaufmanns begannen zu leuchten: »Ich will persischen Schwefel nach China bringen, da ich gehört habe, dass er dort sehr wertvoll sei. Von dort will ich chinesische Vasen nach Rom bringen. Mein Schiff trägt dann römische Stoffe nach Indien, von wo ich indischen Stahl nach Halab bringen will. Von dort will ich Spiegel und Glaswaren in den Jemen exportieren und von dort Samt nach Persien einführen.«
Mit einem träumerischen Gesichtsausdruck verkündete er dem ungläubig lauschenden Saadi: »Und danach gehört |66| mein Leben der Ruhe, Besinnung und Meditation, dem höchsten Ziel meiner Gedanken.«
»Danach«! Ja, später, dann wenn …, dann holen wir alles nach! Welche Illusion! Allzu oft endet es wie die Geschichte eines erfolgreichen Geschäftsmannes, der sich »mit Leib und Seele« seinem Beruf verschrieben hatte. Für Privates hatte er nicht die geringste Zeit, doch er vertröstete sich und andere, einschließlich seine Familie, auf später – wenn er die Arbeit erst geschafft habe, dann sei noch genügend Zeit. Dann werde er große Reisen mit der Familie unternehmen, für seine Gesundheit sorgen, Tennis spielen, Bücher lesen und endlich mal richtig entspannen. Ja, all das wollte er später nachholen … Dann aber hat das Leben ihn geschafft, der Herzinfarkt kam ihm zuvor, und allen, die auf das lang ersehnte »Später« gewartet hatten. Auf seiner Beerdigung sagte seine zwanzigjährige Tochter (mit den Worten der amerikanischen Sängerin Reba McIntire): »Er war der tollste Mann, den ich nie kannte.« Auch sie hatte immer auf später gehofft. – Doch dann war es zu spät!
Leider ist diese Geschichte kein Einzelfall. Wie häufig ist zu hören: »Dafür ist jetzt keine Zeit!« – »Die Arbeit hat nun mal Vorrang, leben kann ich später immer noch!« Das Tragische ist, dass all diese Sprüche ernst gemeint sind und sowohl von den Arbeitstieren, die sie aussprechen, als auch von deren Angehörigen und Freunden geglaubt werden. Doch in den meisten Fällen kommt »später« entweder nie, viel zu spät oder so, dass das Privatleben nicht mehr so nachgeholt werden kann, wie es versäumt wurde. So mancher mag mit fünfundsechzig nochmals ein neues Leben anfangen, doch wie fit er oder sie auch sei – vieles, was mit dreißig, vierzig oder fünfzig möglich ist, geht jetzt nicht mehr, und auch die goldigsten Enkelkinder können die eigenen nicht ersetzen. Kluge Menschen leben ihr Leben jetzt – nicht erst irgendwann später.
|67| Und das bedeutet ja keineswegs, von heute auf morgen alles Berufliche hinzuwerfen, nur noch Freizeit zu haben oder gar »auszusteigen«. Abgesehen davon, dass die meisten sich das finanziell gar nicht leisten können, so wäre das ja nur eine Flucht ins andere Extrem. Vielmehr geht es darum, sich rechtzeitig der eigenen Träume und Wünsche klar zu werden und »Zeitnischen« dafür zu schaffen, in denen diese gelebt werden können. Eine Stunde täglich, mindestens ein halber Tag pro Woche, ein Wochenende im Monat und ein bis zwei Wochen im Jahr. Zeit für das, was man selbst will, wovon man »eigentlich« träumt und wovon man irrtümlich glaubt, man könne es »später« nachholen. Zeitnischen ohne Verpflichtung, ohne ein Muss oder einen »nützlichen« Zweck. Zeit für ein bestimmtes Hobby, für Spiele mit den Kindern, für irgendetwas Verrücktes oder für eine erträumte Reise. – Warten Sie nicht! Sie leben jetzt! Diese Zeitnischen tun sich allerdings nicht von selbst auf, sie müssen geplant und
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