Autofab
Yancy, »es ist wirklich heiß. Zu heiß für die Primeln da – die lieben Schatten.« Ein kurzer Schwenk zeigte, daß er seine Primeln sorgfältig in den Schatten am Fuß seiner Garage gepflanzt hatte. »Andererseits«, fuhr Yancy mit seiner glatten, gutmütigen Stimme fort, wie bei einem nachbarschaftlichen Plausch am Gartenzaun, »brauchen meine Dahlien jede Menge Sonne.«
Die Kamera schnellte nach oben, um die Dahlien zu zeigen, die im gleißenden Sonnenlicht blühten wie verrückt.
Yancy ließ sich in einen gestreiften Liegestuhl fallen, nahm den Strohhut ab und wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn. »Also«, fuhr er freundlich fort, »wenn mich nun jemand fragen würde, was besser ist, Schatten oder Sonne, dann müßte ich sagen, kommt drauf an, ob man eine Primel ist oder
eine Dahlie.« Er grinste mit seinem berühmten treuherzigen Jungengrinsen in die Kameras. »Ich bin dann wohl eine Primel, nehm ich an – für heute ist mein Bedarf an Sonne nämlich gedeckt.«
Das Publikum schluckte das ohne Murren. Ein ungünstiger Anfang, der jedoch langfristig Konsequenzen haben würde. Und dafür stellte Yancy im Augenblick die Weichen.
Sein freundliches Grinsen verschwand. An dessen Stelle trat jener vertrauliche Blick, jenes langerwartete ernste Stirnrunzeln, welches anzeigte, daß tiefschürfende Gedanken im Anzug waren. Yancy würde eine Rede vom Stapel lassen: Die Erkenntnis nahte. Doch sie klang ganz anders als alles, was er je zuvor von sich gegeben hatte.
»Wissen Sie«, sagte Yancy langsam, ernst, »das gibt einem dann doch zu denken.« Automatisch griff er nach seinem Glas Gin-Tonic – ein Glas, in dem noch bis vor kurzem Bier gewesen wäre. Und die Zeitschrift daneben war nicht mehr Du und dein Hund; es war Psychologie heute. Diese Modifikation nebensächlicher Requisiten würde unterbewußt eindringen; im Augenblick war alle bewußte Aufmerksamkeit gebannt auf Yancys Worte gerichtet.
»Dabei fällt mir ein«, schwadronierte Yancy, als sei die Erkenntnis brandneu und noch nie dagewesen, als sei sie ihm gerade erst gekommen, »daß manche Leute womöglich steif und fest behaupten, na, sagen wir, Sonne ist gut und Schatten ist schlecht. Aber das ist doch ausgemachter Blödsinn. Sonne ist gut für Rosen und Dahlien, aber meinen Fuchsien würde sie hundertprozentig den Rest geben.«
Die Kamera zeigte seine preisgekrönten Fuchsien, die überall wuchsen.
»Vielleicht kennen Sie ja solche Leute. Die kapieren einfach nicht, daß – « Und wie es so seine Gewohnheit war, griff er auf alte Volksweisheiten zurück, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen. »Daß des einen Tod«, verkündete er vielsagend, »des anderen Brot ist. Zum Frühstück beispielsweise, da hab ich ganz gern zwei knusprige Spiegeleier, vielleicht ein bißchen
Pflaumenmus und eine Scheibe Toast. Aber Margaret, die ißt lieber eine Schüssel Corn-flakes. Und Ralf, der nimmt weder das eine noch das andere. Der mag am liebsten Pfannkuchen. Und der Bursche da unten an der Straße, der mit der großen Wiese vor dem Haus, der ißt eine Nierenpastete und trinkt dazu ein Fläschchen Starkbier.«
Taverner zuckte zusammen. Tja, sie mußten sich eben langsam vorantasten. Doch das Publikum stand noch immer da und verschlang sie begierig, Wort für Wort. Die ersten schwachen Regungen einer radikalen Idee: daß jeder Mensch andere Wertmaßstäbe anlegte, einen einzigartigen Lebensstil pflegte. Daß womöglich jeder Mensch etwas anderes glaubte und bejahte, an anderen Dingen Gefallen fand.
Es würde seine Zeit brauchen, wie Sipling gesagt hatte. Das gewaltige Bandarchiv mußte ersetzt werden; Verbote, wie es sie in allen Bereichen gab, mußten Schritt für Schritt rückgängig gemacht werden. Eine neue Art zu denken wurde eingeführt, angefangen mit einer platten Bemerkung über Primeln. Wenn ein neunjähriger Junge herausfinden wollte, ob ein Krieg gerecht war oder ungerecht, mußte er dazu seinen eigenen Verstand befragen. Von Yancy würde es keine vorgefertigte Antwort geben; eine gestalt dazu war schon in Vorbereitung, die zeigte, daß jeder Krieg von den einen als gerecht, von den anderen als ungerecht bezeichnet worden war.
Eine gestalt gab es, die Taverner für sein Leben gern gesehen hätte. Aber damit würde es noch eine ganze Weile dauern; die mußte warten. Yancy würde seinen Geschmack in Sachen Kunst ändern, langsam, aber stetig. Eines Tages würde die Öffentlichkeit erfahren, daß Yancy keinen Gefallen mehr fand an
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