Autofab
idyllischen Kalenderszenen.
Daß er nun die Malerei eines holländischen Künstlers aus dem fünfzehnten Jahrhundert vorzog, jenes Meisters des Makabren und des diabolischen Schreckens, Hieronymus Bosch.
Der Minderheiten-Bericht
I
Als Anderton den jungen Mann sah, war sein erster Gedanke: Ich werde langsam kahl. Kahl, fett und alt. Doch das sprach er nicht laut aus. Statt dessen schob er seinen Stuhl nach hinten, stand auf und kam resolut um seinen Schreibtisch herum, die rechte Hand steif ausgestreckt. Er zwang sich zu einem liebenswürdigen Lächeln und schüttelte dem jungen Mann die Hand.
»Witwer?« erkundigte er sich; es gelang ihm, die Frage wohlwollend klingen zu lassen.
»Stimmt genau«, sagte der junge Mann. »Aber für Sie natürlich Ed. Das heißt, falls Sie meine Abneigung gegen unnötige Förmlichkeiten teilen.« Die übertrieben selbstbewußte Miene des blonden jungen Mannes verriet, daß er die Sache damit als erledigt betrachtete. Dann also Ed und John: Von Anfang an würde alles angenehm harmonisch verlaufen.
»War es sehr schwierig, hierherzufinden?« fragte Anderton vorsichtig; er ignorierte die überfreundliche Einleitung. Um Gottes willen, er mußte sich an irgend etwas festhalten. Angst beschlich ihn, und er fing an zu schwitzen. Witwer benahm sich, als wäre es bereits sein Büro – als würde er Maß nehmen. Konnte er denn nicht ein paar Tage warten – anstandshalber?
»Kein Problem«, antwortete Witwer vergnügt, die Hände in den Taschen. Eifrig inspizierte er die voluminösen Aktenordner, die an der Wand aufgereiht standen. »Sie glauben doch nicht etwa, daß ich völlig ahnungslos bei Ihnen antrete. Ich kann mir sogar ziemlich genau vorstellen, wie das bei Prä-Verbrechen so läuft.«
Mit zitternden Fingern steckte Anderton seine Pfeife an. »Und wie läuft das bei Prä-Verbrechen? Das würde ich nun doch gern wissen.«
»Nicht übel«, sagte Witwer. »Eigentlich sogar ziemlich gut.«
Anderton blickte ihn fest an. »Ist das Ihre Privatmeinung? Oder bloß scheinheiliges Gerede?«
Offen begegnete Witwer seinem Blick. »Sowohl privat als auch öffentlich. Der Senat ist mit Ihrer Arbeit zufrieden. Eigentlich ist er sogar begeistert.« Er setzte hinzu: »Soweit man bei diesen Greisen noch von Begeisterung sprechen kann.«
Anderton zuckte zusammen, blieb nach außen hin jedoch gelassen. Das kostete ihn allerdings einige Mühe. Er fragte sich, was Witwer tatsächlich dachte. Was ging in diesem kurzgeschorenen Schädel wirklich vor? Die Augen des jungen Mannes waren blau, hell – und beängstigend intelligent. Witwer ließ sich nichts vormachen. Und war offenbar reichlich ehrgeizig.
»Wenn ich recht verstehe«, sagte Anderton vorsichtig, »arbeiten Sie als mein Assistent, bis ich in Rente gehe.«
»Genau so hab ich das auch verstanden«, erwiderte der andere, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern.
»Das könnte schon dieses oder nächstes Jahr sein – vielleicht aber auch erst in zehn Jahren.« Die Pfeife in Andertons Hand zitterte. »Ich fühle mich keineswegs gezwungen, in Rente zu gehen. Ich habe Prä-Verbrechen gegründet, und ich mache weiter, solange ich will. Das ist allein meine Entscheidung.«
Witwer nickte, seine Miene blieb unverändert offen. »Selbstverständlich.«
Mit Mühe beruhigte Anderton sich ein wenig. »Ich wollte das lediglich klarstellen.«
»Von Anfang an«, räumte Witwer ein. »Sie sind der Boss. Was Sie sagen, wird gemacht.« Sichtlich aufrichtig fragte er: »Hätten Sie was dagegen, mir die Behörde zu zeigen? Ich würde mich gern so schnell wie möglich mit der allgemeinen Routine vertraut machen.«
Während sie die geschäftigen, gelb erleuchteten Reihen von
Büros entlanggingen, sagte Anderton: »Die Theorie von Prä-Verbrechen ist Ihnen selbstverständlich geläufig. Ich nehme doch an, das dürfen wir voraussetzen.«
»Ich habe auch nur die Informationen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind«, erwiderte Witwer. »Mit Hilfe Ihrer Präkog-Mutanten und dank Ihrer Courage ist es Ihnen gelungen, das System der Post-Verbrechensbestrafung mit seinen Gefängnissen und Geldbußen endgültig abzuschaffen. Wir sind uns doch alle darüber im klaren, daß Strafe nie ein sonderlich geeignetes Mittel zur Abschreckung war und einem Opfer, das bereits tot ist, wohl kaum ein großer Trost gewesen sein kann.«
Sie waren beim Fahrstuhl angekommen. Während der sie rasch nach unten brachte, sagte Anderton: »Was die strikte Einhaltung des
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