Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
engen Meerrinne erkennen und die Insel Mona, eine von Zauber umgebene, magische Insel, leuchtend golden in der Nachmittagssonne.
Sie erzitterte erneut, als der Wind auffrischte. Seit sie erfahren hatte, dass Ardanos am Leben war, war sie immer wieder von Zitteranfällen gepackt worden. Belina hatte ihr etwas gegen Schüttel- und Fieberfrost verabreicht, das sie bereitwillig einnahm, obgleich sie wusste, dass sie an keiner Krankheit litt, sondern dies vielmehr die Anzeichen eines inneren, seelischen Aufruhrs waren.
Ob Ardanos sich verändert hatte? Ob er älter aussah? Oder sie? Sie hatten so viel Zeit verloren, so viele Gelegenheiten vertan. Sie wusste inzwischen, was die Erfüllung der Ehe bedeuten konnte, wusste, dass Boudicca schließlich das gefunden hatte, was wahre Ehe sein konnte. Sie würde Ardanos eine Göttin sein, und zusammen würden sie die Welt erneuern.
Wie im Traum ging sie den anderen nach, hinunter zur Anlegestelle, hielt ihr Pferd am kurzen Zügel. Sie bestieg das Boot mit der zweiten Fuhre. Und als sie schließlich durch die Pforten von Oakhalls ritten, hatte sich die gesamte Gemeinschaft versammelt. Es waren mehr, als sie in Erinnerung hätte, Priester und Priesterinnen, die noch vor dem römischen Feldzug hierher geflohen waren. Sie beneidete Helve nicht um die Aufgabe, sich um Essen und Unterkunft für so viele Menschen sorgen zu müssen.
Noch nicht vom Pferd gestiegen, suchte Lhiannon schon nach Ardanos’ rotbraunem Schöpf. Die Menge teilte sich, als die Hohepriesterin höchstselbst erschien, um sie zu begrüßen. Einen halben Schritt hinter ihr kam Coventa, die inzwischen ein Stück gewachsen war, sich ansonsten aber kaum verändert hatte, gefolgt von einer schnatternden Menge. Und mitten unter ihnen entdeckte sie endlich das eine, ihr alles bedeutende Gesicht – Ardanos. Als Helve auf sie zuging, blickte auch er auf, und seine Augen begegneten ihrem suchenden Blick.
Seine Lippen bewegten sich, aber es kam kein Ton heraus. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Eine Frau streckte die Arme nach ihm aus, um ihn zu stützen, als er ins Taumeln geriet. Aber da hatte sich Lhiannon schon vom Pferd geschwungen und rannte auf ihn zu.
»Lhiannon …«, hörte sie Helves Stimme hinter sich. »Welch ein Wunder, dich wieder in unserer Mitte zu haben! Wie du sehen kannst, hat unsere Gemeinschaft mächtig Zuwachs bekommen. Ardanos – du solltest ihr deine Frau und dein Kind vorstellen …«
Und da nahm Lhiannon zum ersten Mal die Frau wahr, die ihn stützte. Das lange, helle Haar steckte zu einem Zopf gebunden unter einem Schal, und die grüne Tunika umhüllte eine Figur, die allem Anschein nach mit der Geburt des inzwischen etwa zweijährigen Flachskopfes, der ihr am Rockzipfel hing, fülliger geworden war.
»Na, mein Mann ist völlig sprachlos, bringt keinen Ton hervor, und das als gelernter Barde!«, rief die Frau mit dem Akzent der Durotriger. »Ich bin Sciovana, und das hier ist unsere Tochter Rheis. Er hat mir so viel von dir erzählt – ich weiß, es muss ihm wie ein Wunder erscheinen, dich lebendig vor sich zu sehen.«
Gut, dachte Lhiannon, diese kleine Ansprache sollte uns beide ein für alle Mal geheilt haben. Sie sah von Ardanos, der sich langsam wieder fasste, zu Helve, die sie mit einem – wie es Lhiannon schien – hämischen Lächeln beobachtete. Sie brachte es nicht fertig, diese Frau anzuschreien, die ihr mit solcher Herzlichkeit und Wärme entgegenstrahlte, und sie würde Helve auf gar keinen Fall die Freude gönnen und sich anmerken lassen, dass es ihr vollauf gelungen war, sie mit ihrer verhaltenen Häme zutiefst zu verletzen.
Da kam Coventa herbei. »Lhiannon, du musst erschöpft sein von der Reise«, sagte sie leise. »Komm, wir bringen deine Sachen weg – nach dem Abendessen wird noch genug Zeit sein für alte Freunde …«
Wohl wahr, dachte Lhiannon, mit einem vollen Bauch ließ sich vielen Dingen leichter begegnen, wobei sie nicht erwartet hätte, dass Coventa dies wusste.
»Ich bin überrascht, dass du noch immer schlichtes Leinen trägst«, sagte sie und deutete auf die ungefärbte Tunika, die Coventa trug. »Ich hätte erwartet, dich nunmehr im Blau der Priesterinnen zu sehen.«
Coventa zog die Schultern hoch. »Ich bin eigentlich so weit, aber nach der Feier auf Avalon befand Helve, dass es für mich zu gefährlich wäre, die Reise in mein Heimatland anzutreten. Vielleicht nächstes Jahr, wenn sich die Lage beruhigt hat.«
Das mochte in der Tat ein Grund sein.
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