Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
Aber es könnte auch noch andere geben. Coventa war immer schon zart und zerbrechlich gewesen und hatte mittlerweile fast etwas Ätherisches, als müsse sie gar nicht in Trance sein, um in die Jenseitige Welt zu treten.
»Wie ist es dir ergangen, Kind? Gut?«, fragte sie.
»Oh, was sonst, wo ich doch hier auf der Insel in Sicherheit war.« Coventa klang munter. »Wenn eine gefährlichen Abenteuern ausgesetzt war, dann du …«
Im Haus der Priesterinnen hatte Coventa für Lhiannon ein Bett gerichtet und half ihr, die paar wenigen Habseligkeiten zu verstauen. Sie hatte auch eine Schale mit frisch geschmortem Rindfleisch und Blattgemüse bereitgestellt, sodass Lhiannon in Ruhe etwas essen konnte.
»Wenn du mittendrin bist im Geschehen, dann siehst du weniger das Abenteuer als die Gefahr«, sagte Lhiannon trocken. »Und die erlebt man besser aus zweiter Hand, etwa wenn der Barde davon in seinen Liedern am Feuer erzählt.«
»Aber es gibt zum Glück nicht nur schreckensreiche Geschichten«, bemerkte Coventa. Sie setzte sich im Schneidersitz ans Fußende von Lhiannons Bett. »Erzähle mir von Boudicca. Ich vermisse sie so sehr. Stimmt es wirklich, dass sie am Abend ihrer Hochzeit ihrem Mann davongelaufen ist?«
Lhiannon schüttelte verwundert den Kopf, da sich die Geschichte offenbar bis auf diese abgeschiedene Insel herumgesprochen hatte. »Ja, das stimmt wirklich, aber jetzt sind die beiden sehr glücklich zusammen.«
Sie seufzte, erinnerte sich daran, dass sie wenige Tage lang gehofft hatte, ein ähnliches Glück zu finden. Und als ob dieser stumme Gedanke ihn gerufen hätte, hörte sie plötzlich Ardanos’ Stimme vor der Tür.
»Ist Lhiannon da? Hat sie sich etwas ausgeruht, damit sie einen kleinen Spaziergang mit mir machen kann?«
Coventa sah Lhiannon fragend an, die sogleich auf die Beine sprang und nach ihrem Schal griff. Ihr war klar, dass sie sich früher oder später unterhalten mussten. Und danach könnte sie ihre Träume für immer vergraben oder sich – sollte ihr das nicht gelingen – ins Meer stürzen.
Die Sonne war untergegangen, doch da es auf Mittsommer zuging, war der Himmel auch noch zu dieser Stunde wie von einem unsichtbaren Licht erhellt – ein Licht wie damals im Feenland, dachte sie. Als sie draußen am Feuer vorbeigingen, bemerkte Lhiannon, dass inzwischen viel mehr Hütten hier standen. Nur die geschnitzten Torpfosten waren noch die alten – wie die Bäume, die sich über den Pfad zum Heiligen Hain wölbten. Und doch erschienen sie ihr fremd wie der Mann, der neben ihr herging und der ein wenig hinkte.
»Du hast ein süßes Kind, und deine Frau scheint auch lieb und nett«, sagte sie höflich.
»Lhiannon, ich dachte, du wärest tot!« Und damit beantwortete Ardanos die Frage zwischen ihren Worten. »Schwerter schwangen über unseren Köpfen, und ich wurde niedergestreckt. Ich dachte ja selbst, ich wäre tot. Und die Römer dachten das auch, andernfalls wäre ich jetzt ein Sklave in Gallien. Sie warfen mich auf einen Haufen mit Leichen, und wenn mich die Leute vom nahen Gehöft nicht gefunden hätten, weil sie selbst nach jemandem suchten, dann wäre ich irgendwann den Raben überlassen geblieben.«
Sie sagte nichts. Der Heilige Hain lag vor ihnen. Und in stummem Einvernehmen blieben sie kurz davor stehen.
»Sciovanas Familie hat mich aufgenommen«, fuhr er fort. »Ich hatte eine Menge Blut verloren und schweres Fieber. Sie hat mich gepflegt, und als ich schreiend und halb wahnsinnig vor Schmerzen dalag, hielt sie mich in ihren Armen.«
So groß können die Schmerzen ja nicht gewesen sein, wenn du noch imstande warst, ihre Herzensgüte auszunutzen, dachte Lhiannon.
»Ich wusste nicht, was ich tat, aber als ich wieder zu mir kam und klar war, dass ich sie geschwängert hatte, war ich auch bereit, sie zu heiraten. Warum auch nicht, wo ich dich verloren hatte?«
Konnte sie ihm einen Vorwurf machen? Wohl kaum, denn sie erinnerte sich, wie sie selbst Trost bei Boudicca gesucht hatte. Und wenn Boudicca sie so geliebt hätte wie Sciovana Ardanos, dann wäre sie jetzt überhaupt nicht hier. Aber nun war sie da und empfand zu ihrem eigenen Schmerz sogar ein wenig Mitleid mit ihm.
Er starrte sie an, Tränen in den Augen. »Meine Liebe gehört einem Mädchen mit Haaren, so leuchtend wie die gelbe Flagge«, flüsterte er. »So weich wie die Brust eines Schwans …« Er schluckte, nahm ihre Hand. »Du bist Priesterin, Lhiannon, was Sciovana nie sein kann. An den großen Ritualen können
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