Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
Leichen nun brannten. Einige der Überlebenden, dachte Lhiannon, als sie Coventa sah, die mit verhangenem Blick dem Lichtspiel in den Blättern folgte, werden sich körperlich wieder erholen; ob jedoch auch ihre seelischen Wunden heilen würden, da war sie sich nicht gewiss.
»Oakhalls gibt es nicht mehr«, sagte Ardanos. »Der Zauber ist dahin.« Und dafür hatte er zuletzt selbst gesorgt, als er sie anwies, die letzten Reste der Gebäude einzureißen, um den Totenscheiterhaufen entfachen zu können. »Wir werden den Römern nichts hinterlassen, über das sie triumphieren können, wenn sie zurückkommen, was sie sicherlich werden.«
Sein Gesicht zeigte ein nervöses Zucken, das zum ersten Mal einen Tag nach dem Angriff aufgetreten war. Doch trotz aller Energie, mit der er den Abriss und das Begräbnis leitete, war er schwer verletzt – ein wandelnder Verwundeter, in Lhiannons Augen.
»Und wohin sollen wir jetzt gehen?«, fragte sie ihn sanft. Ihr Blick wanderte von einem zum anderen. Am Tag, nachdem die Römer abgezogen waren, waren ein paar Nachbarn gekommen und hatten Vorräte gebracht. So hatten sie wenigstens etwas zum Anziehen und zum Essen, obgleich es ein seltsamer Anblick war, die Druiden in naturfarbene Wolle und Leinen gekleidet zu sehen, anstatt in weißen und dunkelblauen Roben.
»Wir müssen uns bis auf Weiteres zerstreuen. Wir kommen aus verschiedenen Stämmen – es wird das Beste sein, wenn wir die Mitglieder aus unserer Gemeinschaft aufsuchen, die bei den Stämmen geblieben sind, und ihnen auftragen, den Verwundeten auf entlegenen Gehöften einen sicheren Unterschlupf zu bereiten, wo sie in Ruhe gesunden können.«
Derweil unsere Priesterinnen nur abwarten können, ob der Samen, den die Römer ihnen in den Schoß gepflanzt haben, Früchte trägt, dachte Lhiannon grimmig. Belina sprach bereits davon, die daraus entstandenen Söhne großzuziehen, damit sie Rache nähmen. Und von allen geschändeten Frauen war sie noch diejenige mit dem gesündesten Verstand. Gebrochen sind wir alle auf die ein oder andere Art … bleibt nur abzuwarten, ob unsere Wunden je wieder heilen werden.
Einer nach dem anderen teilte mit, wo er möglicherweise Unterschlupf finden könnte.
»Ich habe keine Familie mehr im Land der Cornovi«, sagte Lhiannon, als sie an der Reihe war. »Aber ich kann im Sommerland unterkommen. Ich werde mit Coventa und meinem Ziehkind nach Avalon gehen.«
»Und wer weiß, vielleicht kehren wir eines Tages wieder hierher zurück«, überlegte Belina. »Einer der Fischer hat etwas aufgeschnappt, als die Soldaten abgezogen sind. Im Osten soll ein Aufstand im Gange sein – im Land der Icener und Trinovanten. Deshalb sind die römischen Legionen so Hals über Kopf abgerückt. Vielleicht ist das der Aufstand, auf den wir gewartet haben, bei dem sich alle Stämme Britanniens als einer erheben.«
Lhiannon versteifte sich, als ein Strom der Erkenntnis sie erfasste. Natürlich – Boudicca war auf irgendeine Weise darin verwickelt. Und sie zuckte plötzlich vor Erbitterung, als ihr die Lage mit all den vielen Verwundeten gegenwärtig wurde. Ardanos hatte recht – Oakhalls war verloren und damit auch die Macht der Druiden. Vielleicht gehörte sie von nun an zu jenen, die den Kampf noch nicht aufgegeben hatten …
»Ist es möglich, dass der Aufstand durch uns Zeit gewonnen hat?«, fragte der alte Brigomaglos. »Zu glauben, dass wir wenigstens etwas bewegen konnten, würde meine Seelenpein erleichtern.«
»Nun, ein Wunder ist möglich, das will ich nicht leugnen«, sagte Ardanos mit trockener Stimme. »Aber wir wollen nicht hoffen, dass dies die Zeit ist, die unser Volk zu einer Einheit geführt hat, die es zuvor zu bilden nicht imstande war.« Er schüttelte den Kopf. »Nein – wir werden untertauchen und alles tun, um zu überleben. Lasst die Römer ruhig denken, wir wären zerschlagen, bis wir einen Weg gefunden haben, mit ihnen in Sicherheit zu leben.«
»Werden wir fortan keine Druiden mehr sein?«, fragte Belina. »Unsere Hohepriesterin ist immerhin tot.« Ihr Blick wanderte zu dem Blutfleck, der noch immer am Heiligen Altarstein prangte.
»Sie sagte, Nodona solle ihr nachfolgen«, warf Brigomaglos ein.
»Aber wird sie dazu in der Lage sein?«, fragte Belina.
Lhiannon blieb stumm. Zu viele in dieser Runde wussten von den Spannungen zwischen ihr und Helve. Wenn sie jetzt etwas sagte, mochte das nur allzu leicht missverstanden werden. Zudem konnte sie den Anblick der goldenen Ringe nicht
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