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Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon

Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon

Titel: Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Reigen der Jahreszeiten seine eigenen Unheile bereithielt, gab es in der Natur eine zugrunde liegende Ordnung, die einem eine gewisse Sicherheit schenkte. In der Welt der Menschen jedoch konnte sie eine solche nirgendwo erkennen.
    Boudicca hörte tumultartiges Geschrei, das aus nächster Nähe kam und eher von wilden Tieren als von Menschen zu stammen schien. Die weiße Stute, auf der sie saß, tänzelte unruhig und spitzte nervös die Ohren, und Bogle knurrte warnend, als ein weiterer Trupp vorüberzog. Zwei Männer trugen Köpfe von Römern auf ihren Speeren vor sich her, die anderen Säcke mit Beute und Vorräten. Das Gewirr aus Häusern, Läden und Lagern, das am nördlichen Ufer der Tamesa aus dem Boden geschossen war, schien sich unter dem abendlichen Himmel zusammenzukauern. Man konnte die Spur der vorrückenden Britannier am Zug der Raben ausmachen, die ihnen durch die Stadt gefolgt waren.
    Londinium war wie Colonia unverteidigt. Decianus Catus war nach Gallien geflohen, als Colonia gefallen war, und sein Stab, darunter auch Cloto, war mit ihm gegangen. Sie hatten den Feldherrn um nur zwei Tage verfehlt. Paulinus hatte wenigstens einen Versuch unternommen, die Stadt räumen zu lassen. Geblieben waren nur jene, die fest entschlossen waren, ihr Hab und Gut bis zuletzt zu verteidigen, sowie diejenigen, die zu alt oder zu schwach waren. Und die starben nun anstatt all derer, die es mehr verdient hätten, als die Britannier eine Straße nach der anderen durchpflügten.
    Boudicca hatte den Befehl erteilt, die Stadt nicht niederzubrennen, ehe sie nicht alles von Wert geplündert hatten. Die meisten in ihrem Gefolge hatten Nahrungsmittel gebracht. Auf keinen Fall konnten sie riskieren, dass ihre Vorräte zur Neige gingen, bevor sie den Feldherrn eingeholt hatten. Ohnehin war die Mehrzahl dessen, was in den Lagerhäusern zu finden war, den Britanniern von den Römern als Steuerzahlung abverlangt worden. Von daher verschaffte es ihr umso mehr Genugtuung, sich die Dinge nun zurückzuholen – als Begleichung des Verlusts.
    Als sie um die Ecke bogen, wurde das Geschrei lauter. Boudiccas Begleittrupp zügelte die Pferde, als sie einen verkeilten Haufen von kämpfenden Männern erblickten. Der Schrei einer Frau durchstieß das Stimmengewirr wie eine Klinge ein Herz. Unwillkürlich trieb Boudicca die Stute vorwärts und sah Klingen blitzen, als die Angreifer auseinanderstoben. Soweit sie das an ihrer äußeren Gestalt erkennen konnte, waren die Angreifer Männer aus ihren Reihen; ihre Gesichter waren in diesem Augenblick allesamt vom gleichen zornerfüllten Ausdruck geprägt.
    Hinter der zersplitterten Tür eines Hauses stand ein Römer, der sich als Schutzschild einen Tisch vorhielt. Kurzerhand hob ein Britannier eine Axt und haute den Tisch entzwei, sodass die Splitterstücke wie Kleinholz davonflogen, während die anderen ihn mit Speeren traktierten. Boudicca erkannte den Mann mit der Axt – einen ehemaligen Kleinbauern, der in Schulden geraten war und zurückgeschlagen hatte, als die Römer gekommen waren, um sein Land zu beschlagnahmen. Er selbst hatte fliehen können, doch die Römer hatten seine Frau gefangen genommen und sie in die Sklaverei verkauft.
    Der Römer in der Tür taumelte, als einer der Speere sein Bein durchbohrte, ein weiterer Axthieb niederging und den zertrümmerten Tisch durch die Luft schleuderte. Alle griffen gleichzeitig nach ihm, packten ihn und zerrten ihn hinaus auf die Straße, wo die roten Klingen wild durch die Luft schwangen, auf und nieder stießen. Mit einem Holzkeil schlugen sie die Tür ein, drückten sie nach innen. Und die Römerin begann laut zu schreien.
    Aus der Türöffnung stürmte ein kleiner Junge, doch sein dünnes Wimmern verstummte jäh, als ihn jemand niederschlug und seinen kleinen Körper zur Seite warf. Die Männer schleiften seine Mutter auf die Straße, rissen an ihrer Tunika und zwangen sie nieder. Boudicca sah ihre verzweifelten, weiß geränderten Augen über einer sie erstickenden Männerhand.
    »Wenn du versuchst, sie aufzuhalten, dann hast du sie gegen dich.« Das war die Stimme der Göttin in ihr, als sie gerade den Mund öffnen wollte, um etwas dazwischenzurufen. Die weißen Glieder, die direkt vor ihren Augen vor Angst zuckten, verschmolzen mit der Erinnerung an Argantillas Körper, als die Römer sie niedergeworfen hatten.
    Wir sind nicht besser als sie, nicht wahr?, schrie ihr Geist.
    »Es geht hier nicht um Lust, sondern um Macht …«
    Hilf ihr! Das Bild

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