Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
leise den letzten Vers von Brangenos’ Lied:
»Die Große Königin wandelt über das Schlachtfeld,
Beweint die Toten,
Schließt ihre Seelen in ihre Arme,
Nimmt ihnen den Schmerz.
Die Morrigan weint …, dachte Lhiannon und fand einen bitteren Trost im Wissen, dass sie nicht allein trauerten.
»Sie hat eine Menge Blut verloren«, sagte Brangenos, als sie die Königin auf dem Hügel niederlegten.
»Ja.« Das unruhige Mondlicht, das durch die Bäume flimmerte, brachte die klaffenden Wunden auf Boudiccas langen Gliedern zum Vorschein. Die meisten hatten aufgehört zu bluten, aber an ihrer Seite hatte sie einen tiefen Schnitt, der sehr schlimm aussah. Sie konnten nichts weiter tun, als die Wunden abzubinden und sie warm eingepackt auf eine Trage aus Zweigen zu betten. Lhiannon sah auf, als Caw zwischen den Bäumen erschien.
»Die Römer durchsuchen das Gebiet im Osten und Süden, entlang der Straße. In diese Richtung können wir nicht.«
»Die Hügel habe ich auf meinen Jagdzügen alle durchstreift, kenne sie in- und auswendig«, sagte Kitto, der im Schatten der Bäume mit Argantilla ein flaches Grab für Rigana ausgehoben hatte. »Ich kann euch an der römischen Festung vorbeiführen und westlich um diesen Bergzug herum. Von dort können wir uns bis zum Gehöft meines Vaters durchschlagen.«
Es schien, als hätte die Göttin sie nicht gänzlich vergessen. Zum ersten Mal wagte Lhiannon zu hoffen, dass, sie den Römern entkommen konnten. Doch wohin? – Diese Frage hob sie sich für später auf.
Boudicca kam auf einer Welle des Schmerzes zu Bewusstsein. Sie lag auf etwas, das ruckelte und schaukelte und ihr bei jeder Bewegung heftige Schmerzen durch die Glieder jagte. Sie erzitterte, als sie tief Luft holte, und spürte einen Schmerz unter den Rippen, der so tief ging, dass sie nicht einmal schreien konnte. Das Schaukeln hörte auf, und etwas Süßes benetzte ihre Lippen, wurde ihr gewaltsam eingeflößt. Sie gewahrte den vertrauten Geschmack von Mohnsamen in Honig und dämmerte sogleich wieder weg.
Als sie erneut zu sich kam, wähnte sie sich auf einem Schiff, das sie nach Avalon brachte, sah Prasutagos neben sich, seine Haut bronzefarben, das Haar von der Sonne zu blassem Gold poliert.
»Ich habe dich auf deinem Scheiterhaufen gesehen. Bin auch ich jetzt tot?« Ihr Herz hüpfte, als er lächelte.
»Noch nicht, meine Liebe. Du hast noch ein Stück Weg zu gehen.« Sein Gesicht verglomm, als das Schaukeln stärker wurde. Sie klammerte sich an das Bild vor ihren Augen, versuchte, den nagenden Schmerz auszublenden.
»Verlass mich nicht wieder!«, schrie ihr Geist.
Die Dunkelheit verwirbelte das Bild, aber sie hörte seine Stimme, so wie sie damals vor langer Zeit ihren Schmerz durchdrang – »Boudicca, ich bin hier …«
Das nächste Mal, als sie erwachte, lag sie im Schatten auf etwas Weichem, das nicht schaukelte, neben ihr vertrautes Stimmengemurmel. Sie musste irgendeinen Laut von sich gegeben haben, denn plötzlich sah sie ganz verschwommen Argantillas Gesicht über sich.
»Mutter! Du bist wach! Wie geht es dir?«
Wie nach dem Auspeitschen, und schwach wie ein neugeborener Hundewelpe, dachte sie im Stillen, als sie spürte, wo es ihr überall wehtat. Und laut sagte sie: »Besser, wenn ich dich sehe … Wo sind wir?«, fügte sie hinzu, als Tilla ein leichtes Lächeln gelang.
»Auf Kittos Gehöft. Alle sind hier freundlich.« Sie stockte, schluckte. »Rigana …«
»Sie ist tot. Ich habe sie sterben sehen. Sie wollte es so.« Und ich wollte das auch – sterben, dachte Boudicca, lächelte aber weiter. Sie war eine Gefahr für alle anderen. Und so wäre es besser gewesen, wenn auch sie auf dem Schlachtfeld gestorben wäre. Doch jetzt würde ihr Lhiannon nie und nimmer den Gnadenstoß geben.
Sie bemerkte, dass sie sich ganz klar an die Schlacht erinnern konnte, und fragte sich, ob die Wunden ihres Fleisches sie irgendwie abgekoppelt hatten von ihren Schrecknissen – oder ob das verheerende Ausmaß des Unheils ihr geholfen hatte, den körperlichen Schmerz zu ertragen.
Argantilla rückte ein Stück zur Seite, und sie sah Lhiannon, das Gesicht hager, ihre Augen verschattet vor Müdigkeit. Mit sanftem Druck fühlte die Priesterin ihren Puls und die Temperatur auf ihrer Stirn.
»Du hast ein wenig Fieber, aber deine Wunden konnten wir säubern und nähen, während du bewusstlos warst. Es scheint, als heilten sie gut. Ruhe dich aus, solange es geht. Die Römer suchen schon. Hier können wir nicht
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