Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
Prasutagos zu Friedenszeiten daheim behielt – der schlaksige Calgac, der als ihr Leibwächter abgestellt war, sowie drei weitere junge Krieger. Unwillkürlich fing sie an, die Ankömmlinge zu zählen, als diese durch das Holztor ritten – ein Contubernium aus zehn Soldaten begleitete vier Männer: drei in Tunika und knielange Reiterhosen gekleidet sowie einen weiteren in engen, karierten Reithosen, den sie als den Führer der Truppe ausmachte.
»Salutatio«, grüßte Boudicca und reichte das Trinkhorn an den bestgekleideten der Reiter, erstaunt, in ein bekanntes Gesicht zu blicken – die große Nase und die dunklen Augen gehörten Lucius Junius Pollio, der sie damals bei der Unterwerfungszeremonie, als das matte Abendlicht einen blauroten Schein ins kaiserliche Zelt geworfen hatte, begehrlich angestarrt hatte. Weshalb waren die Römer gekommen? Soweit sie wusste, waren die Steuern, die sie abführen mussten, noch gar nicht fällig! Ihr Lächeln war etwas förmlicher, als sie fortfuhr: »Lucius Junius Pollio, salve!« Das war alles an lateinischen Worten, die sie aus den Jahren am Hof des Königs Cunobelin noch wusste.
»Sei gegrüßt«, antwortete Pollio in ihrer Sprache. »Ich trinke auf dich, meine Königin.« Er sprach mit atrebatischem Akzent.
Boudicca war erstaunt. Sie hätte nicht damit gerechnet, dass die Römer jemanden schicken würden, der der britannischen Sprache mächtig war.
Die Ankömmlinge stiegen vom Pferd, und Boudicca bedeutete ihren Kriegern mit stummen Blicken, sich um Pferde und Männer zu kümmern. Einige von ihnen waren neu in der königlichen Festung, gerade erst als Ersatz für die an der Tamesa gefallenen Krieger in Dienst genommen und mit den Aufgaben noch nicht recht vertraut. Als alle so weit versorgt und bewirtet waren, war Prasutagos noch immer nicht zurück. Um nicht die ganze Zeit am Feuer sitzen und Pollios starrende Blicke aushalten zu müssen, schlug sie eine kleine Besichtigungsrunde vor.
Die Festung war umwallt von einer grasbedeckten Böschung, die nach innen hin mit Stufen abgesetzt und nach außen hin mit Palisaden befestigt war. »Die Familie meines Gemahls bewohnt diese Feste seit der Zeit seines Ururgroßvaters«, sagte sie, als sie oben angelangt waren. »Aber die Stammessippen leben hier seit vielen Jahren in Frieden.«
»Und trotzdem baut König Prasutagos eine neue Festung?« Das war eine versteckte Frage. »Eine neue Festung, um den Hafen im Auge zu haben, wo die Schiffe festmachen, die das sumpfige Schwemmland durchfahren?«
»Er baut eben gerne«, erwiderte sie mit einem Schulterzucken. Sie war einmal hinausgeritten, um den mächtigen Befestigungswall und die riesigen Kreideblöcke der Baustelle zu sehen, doch ihr Gemahl war viel zu beschäftigt gewesen, um von ihrer Anwesenheit überhaupt Notiz zu nehmen, und so war sie nicht lange geblieben.
»Das tut er in der Tat«, stimmte Pollio zu und warf einen flüchtigen Blick auf ihren schwangeren Bauch. »Und hat damit einen strategisch vorteilhaften Aussichtspunkt.«
Sie lächelte ein wenig, so wie immer, wenn sie hier oben stand und den Blick über die Felder schweifen ließ. Zu dieser Jahreszeit war das Land saftig grün, durchzogen vom rostigen Braun der frisch gepflügten und eingesäten Felder. Gleich auf dem Feld vor ihnen hatte sich eine Schar Krähen niedergelassen und pickte nach Körnern, bis sie aufgescheucht wurden von einem schreienden Kind, das von einem Hund verfolgt wurde, und in einer schwarzen, krächzenden Wolke in die Luft stießen.
Cathubodva, nimm deine Vögel fort, betete sie. Es gibt hier heute kein Festmahl für dich! Obwohl, dachte sie, lieber würde ich mein Mahl mit der Göttin anstatt mit den Römern teilen. Sie warf einen verstohlenen Blick auf den Mann neben sich, der just in diesem Augenblick aber nicht die Felder betrachtete, sondern sie, was sie außerordentlich peinlich berührte.
»Wir haben hier keine steil aufragenden Hügel, auf die wir unsere Festungen bauen könnten, so wie sie das im Land der Durotriger tun«, sagte sie höflich, wohl wissend, dass Vespasian den römischen Feldzug im Südosten stetig fortsetzte und eine Festung nach der anderen einnahm.
Falls sie ihn mit diesem Seitenhieb getroffen hatte, ließ er sich jedenfalls nichts anmerken. »Ihr betreibt hier Gerstenanbau und Viehzucht?« Seine dunklen Augen schweiften ab.
»Ja, auch Dinkelanbau und Schafzucht auf den Heiden«, fügte sie hinzu und entfernte sich ein paar Schritte. »Unsere Felder sind
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