Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
den sie aber an seiner Statur und den breiten Schultern sogleich erkannte. Schlagartig war sie hellwach, fühlte sich erleichtert, verärgert und erschrocken zugleich.
»Zwei ganze Tage …«, sagte sie und setzte sich auf. Ihre Brüder hatten ihr stets eingetrichtert, dass Angriff die beste Verteidigung sei. »Du hast dir ganz schön Zeit gelassen, mein Lieber.«
»Gab auch keinen Grund zur Eile. Im Land herrscht Frieden, und zudem war mir klar, wohin die Stute laufen würde.« Prasutagos drehte die Würste und sah sie an. Haar und Bart waren säuberlich gekämmt, sogar seine silbernen Haarsträhnen hatten in der Morgensonne einen goldenen Schimmer. Er trug eine robuste, enge Hose aus kariertem Stoff, darüber eine mattgrüne Tunika – genau das Richtige für Wind und Wetter. Und er war sauber gewaschen.
»Das will ich doch hoffen«, meinte sie und zupfte sich Gras aus dem Haar.
»Es war nicht schwierig, deine Spur aufzunehmen. Eine rothaarige Frau auf einem roten Pferd hat sich auf dem Land schnell herumgesprochen, obgleich man sich nicht einig war, ob sie eine leibhaftige Göttin sei oder eine Entflohene aus dem Krieg mit den Römern, und ob das nun ein gutes Omen sei oder ein böses.«
Boudicca spürte, wie sie über und über errötete, und räusperte sich.
»Und was meinst du?«
»Für mich ist sie eine herbstliche Göttin«, antwortete er trocken. »Und ich habe mir geschworen, sie zu finden und allen zu beweisen, dass die magischen Kräfte des Königs ausreichen, alle anderen zu besiegen.« Er nahm die Würstchen vom Feuer, besser gesagt die Stöcke, auf denen sie aufgespießt waren, und steckte sie in den weichen Boden.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Ich gehe kurz runter zum Bach, um mich zu waschen.«
»Ausgezeichnete Idee. An der Weide dort lehnt ein Beutel. Darin findest du etwas Sauberes zum Anziehen«, sagte er und fügte hinzu: »Und lauf nicht wieder vor mir weg. Mein Ansehen verkraftet das nämlich kein zweites Mal, wenn mir meine Braut noch einmal abhanden käme …«
Gemeinsam ritten sie durch den goldenen Herbstnachmittag, Boudicca hinter ihrem Gemahl. Sie hatte sich gewaschen und die Kleider übergestreift, die er für sie mitgebracht hatte: eine langärmelige Tunika aus leichter Wolle von der gleichen Farbe wie die frisch geernteten Felder ringsum und eine robuste, enge Hose aus kariertem Stoff, wie er sie trug – die reinste Wohltat für ihre Beine, die in den zwei Tagen zuvor durch den dünnen Stoff ihres Umhangs wenig gepolstert gewesen waren und sich wund gescheuert hatten. Der große Braune, auf dem König Prasutagos ritt, hatte einen längeren Schritt als Boudiccas Stute, sodass sie stets ein Stück hinter ihm zurückfiel. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie er wohl aufgewachsen war. Als jüngerer Sohn war er bestimmt nie in die kriegerischen Aufgaben eines künftigen Königs eingeführt worden, und er hatte diese Gegend wohl häufig allein durchstreift. Jedenfalls schienen ihn die Leute auf dem Gehöft, auf dem sie rasteten und frische Kuhmilch bekamen, zu kennen, und sie wirkten keineswegs überrascht, ihren König samt Gemahlin zu sehen.
Bestimmt hatte er viel Zeit mit sich verbracht, überlegte sie, und war Gesellschaft nicht gewohnt, weshalb er auch beim Hochzeitsfest eher schweigsam gewesen war. Dennoch hatte sie trotz der unangenehmen Situation am Morgen gehofft, dass er etwas auftauen und die Befangenheit zwischen ihnen schwinden würde.
Coventa müsste hier sein, dachte sie – sie würde mit ihren munteren Plaudereien die gespannte Stille zwischen ihnen bald auflockern. Boudicca war eigentlich nicht auf den Mund gefallen, doch nun traute sie sich kaum ein Wort zu sagen.
»Wo werden wir übernachten?«, fragte sie schließlich, nachdem sie sich eine Stunde lang angeschwiegen hatten. »Oder hast du vor, geradewegs zurück zur Festung zu reiten?«
»Die Pferde brauchen eine Pause.« Er zügelte sein Pferd ein wenig, damit sie ihn besser hören konnte. »Ein Stück weiter gibt es eine Heilige Quelle, wo die Leute zur Göttin beten und sie um Heilung und die Erfüllung ihrer Wünsche bitten. Dort in der Nähe liegt auch ein Gehöft, dessen Bewohner ich unterstütze, damit sie Durchreisende bewirten können. In einer der Pilgerhütten dort werden wir übernachten.«
Die ersten Sterne am Himmel funkelten bereits, als sie ihr Ziel erreichten. Sie konnten das Gluckern des Wassers hören, das aus der Quelle sprudelte und durch das flache Tal zwischen den bewaldeten
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