Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
möglich ausharren. Selbst wenn sie uns hier an dieser Festung zurückschlagen, werden wir einfach die nächste einnehmen. Wir können und werden sie überdauern. Das ist schließlich unser Land!«
Vielleicht hätte Caratac ja ein Jahr zuvor aller Mut verlassen, wenn er geahnt hätte, welch schweren Kampfes kosten würde. Doch aufzugeben stand für ihn außer Frage. Das war auch Lhiannon klar. Dafür hatte er bereits einen viel zu hohen Preis gezahlt.
Aber was, wenn die Römer ebenso dachten? Was, wenn jeder einzelne Legionssoldat, der zum Futter für die Raben der Morrigan wurde, Vespasians Entschluss bekräftigte, den Feind bis zum letzten Mann zu vernichten?
Draußen schlug irgendjemand Alarm. Fluchend griffen die Stammesführer nach ihren Schwertern, drängten eilends durch die Tür hinaus. Sie rutschten und schlitterten über den aufgeweichten Boden, hoben die Schutzschilde in einer geschlossenen Reihe hoch, um vor dem Hagel der Geschosse Deckung zu suchen – die Römer waren erneut zum Angriff übergegangen.
Der Regen hatte endlich aufgehört.
Große, glänzende Wolkenberge trieben langsam ostwärts, hatten ihre nasse Fracht entladen und überließen der Sonne als Siegerin das nun strahlend blaue Feld. An der Festung der Großen Steine hielten Sieger wie Besiegte gleichermaßen inne, wandten sich dem Licht zu wie Blumen, die sich nach der Sonne drehen. Die Sonne wurde immer stärker, zog die Feuchtigkeit aus dem durchweichten Boden und ließ dampfende Kringel aufsteigen. Die feuchte Luft schlug Lhiannon schwer auf die Lungen, doch sie wusste, dass der schlammige Boden in der Festung und auf den Hängen bald trocknen würde und die Römer erneut zum Angriff übergehen würden.
Über ihr kreisten Raben, erschienen mal dunkel und mal hell, so wie ihre glänzenden Schwingen das Sonnenlicht einfingen. Habt Geduld, sagte sie sich, bald wird es wieder etwas zu essen geben!
Sie streifte alle Kleider ab bis auf die leinene Tunika, die sie zuunterst trug, hängte ihre blaue Robe unter das Strohdach des Rundhauses und löste die geflochtenen Zöpfe.
»Dein Haar – wie gesponnenes Sonnenlicht …«
Sie spürte eine Berührung, drehte sich um, direkt hinein in Ardanos’ Arme.
»Und du – wie ein Feenkind mit deinem farblosen Gewand und den weißen Armen, die in der Sonne leuchten.« Er lächelte sanft, half ihr, den verwickelten Zopf zu entwirren.
»Ja, am Saum völlig schlammverkrustet, aber es ist nett, dass du das sagst …«, antwortete sie so ruhig sie konnte. »Aber sollte der Tod nahen, dann sehe ich ihm wenigstens in trockenen Kleidern entgegen.«
»Sieht ganz danach aus … ja, ich würde sogar sagen, es ist so gut wie sicher«, antwortete er, und darin schwang sogar etwas von seinem alten trockenen Humor. »Soweit ich das eben gesehen habe, als ich durch die Palisaden geblickt habe, geht es unten am Hügel ziemlich geschäftig zu. Die Römer bringen ihre Wurfgeschütze in Position für einen neuen Angriff und machen keinerlei Anstalten, dies unbeobachtet zu tun. Warum auch? Wir können ihn sowieso nur noch mit dem abwehren, was wir haben. Und das ist nicht viel. Wir haben fast keine Pfeile mehr, und selbst der Vorrat an Schleudersteinen wird langsam knapp.«
»Und eine Festung kann nicht fliehen«, pflichtete sie ihm bei. Und alle, die darin in der Falle sitzen, auch nicht. Aber das brauchte sie nicht laut zu sagen.
Inzwischen hatte er den zweiten Zopf in ihrem Haar gelöst, kämmte die Strähnen mit den Fingern aus, sodass sie weich über ihre Schultern fielen und in der Sonne glänzten.
»Wie kommt es, dass der Mangel an Nahrung dich nur noch schöner macht?«, fragte er. »Du warst ja schon immer dünn, aber jetzt scheint deine Seele wie ein Licht durch deine Haut …« In der vergangenen Woche waren die ohnehin knappen Nahrungsmittel noch einmal rationiert worden. Die Römer hatten offenbar nicht mit einem derart lang anhaltenden Widerstand gerechnet, aber Antebrogios hatte auch nicht mit einem so eisernen Durchhaltevermögen auf Seiten der Römer gerechnet.
Auch Ardanos war mager geworden. Sie konnte sich jetzt sogar gut vorstellen, wie er als alter Mann aussehen würde – sofern einer von ihnen überhaupt bis dahin leben würde. Aber das war ihr in diesem Augenblick gar nicht wichtig. Viel wichtiger war es, den sanften Klang in seiner Stimme zu hören und das Leuchten in seinen Augen zu sehen. Wenn er dem Tod geweiht war, dann war sie es auch. Sie ließ sich in seine Arme sinken, und es
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