Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
war nicht nur Hunger, der sie schwindlig machte.
Das geschäftige Treiben im Lager der Römer hielt den ganzen Nachmittag lang an. In der Festung hingegen verlief das Abendessen still. Die Köche hatten aus den Resten noch das Beste auf die Teller gezaubert. Dazu gab es nur Wasser, doch die Stammesführer tranken einander zu, als wäre es Wein.
»Sollte unser Schicksal sich heute Abend besiegeln und wir fallen, so doch wenigstens in Freude«, rief Ardanos, als er an der Reihe war, einen Trinkspruch auszubringen. »Mögen die Römer, die wir töten, im Hades versinken, auf uns aber warten die Inseln der Glückseligkeit, sobald die Zeit kommt, einzutreten in den Schoß und neu geboren zu werden.«
Die Inseln der Glückseligkeit, oder die Jenseitige Welt, die die Feenfrau mir gezeigt hat, dachte Lhiannon und sinnierte weiter. Wenn sie mir hier und jetzt die Pforte dorthin öffnen würde, würde ich sie durchschreiten? Nicht allein … Sie blickte zu Ardanos. Nein, niemals würde sie diesen Pfad allein beschreiten.
»Bei allen Gottheiten, ihr Männer der Durotriger werdet sicherlich unter den Helden sein«, rief Caratac aus. »Niemand hat je tapferer gekämpft und so sehr ausgeharrt …«
»Niemand hatte je einen so edlen Stammesführer an der Spitze …«, erwiderten die Männer einmütig.
Nach dem Essen schlenderten Lhiannon und Ardanos an den leeren Viehpferchen vorbei, sahen hinauf zu den Sternen. Die Männer, die an den Bollwerken patrouillierten, sangen. Wenn sie still waren, dann konnte man von unterhalb des Hügels leises Raunen hören – wie fernes Donnergrollen. Doch hier auf dem Strohhaufen, auf dem Ardanos seinen Umhang ausgebreitet hatte, schien alles sehr still.
Lhiannon lehnte den Kopf an seine Schulter, fühlte sich sicher in seinen Armen. Ardanos hatte nur den Umhang abgestreift, nichts sonst, und er machte auch keine Anstalten, dies zu ändern. Sie spürte ein regelmäßiges Zucken unter ihrer Hand, als hielte sie sein Herz umklammert.
»Ich hätte nie gedacht, dich in einer solchen Zeit, an einem solchen Ort endlich in meinen Armen zu halten«, sagte er schließlich. »Oder dass es mir genügen würde, dich einfach nur zu halten und zu wissen, dass du nirgendwo sonst als hier in meinen Armen liegen willst.«
Die Asketen unter den Druiden hungern, um in einen Zustand zu gelangen, in dem die Begierde des Fleisches nicht mehr spürbar ist. Vielleicht war Ardanos und ihr ja genau das widerfahren. Oder vielleicht hatten hier an diesem Ort, jenseits aller Zerstreuungen des gewöhnlichen Lebens, ihre Seelen zueinander gefunden.
»Wenn sie kommen«, flüsterte sie nach einer Weile, »wenn sie das Bollwerk durchbrechen, wirst du dann mit mir auf die Inseln der Glückseligen kommen? Sie werden uns als Druiden erkennen, uns als Gefangene durch die Straßen von Rom schleifen und uns den wilden Tieren in der Arena zum Fraß vorwerfen, wenn sie uns lebend kriegen.«
»Ja, meine Liebste. Aber noch ist es nicht so weit. Wir haben tapfere Männer hier, und es wäre falsch, sie zu früh im Stich zu lassen.«
Er musste sogar ein wenig über seine eigenen Worte schmunzeln und küsste sie auf die Stirn. »Ich habe deinen Mut nie bezweifelt, Lhiannon.«
Die Sterne verblassten, als der Vollmond aufstieg und sie überstrahlte. In einer Nacht wie dieser schien es völlig undenkbar, dass jemand sterben würde. Die Römer nannten den Mond eine unschuldige Göttin. Konnten sie nicht sehen, dass es Götterlästerung war, den Frieden dieser Nacht mit Gewalt zu durchbrechen?
Lhiannon setzte sich aufrecht, hob die Hände zum Himmel … »Heilige Göttin, heilige Göttin«, sang sie.
Auf die Welt der Krieg führenden Männer
schau herab und beende ihren Hass.
Oh, heilige Göttin, höre uns,
oh, höre unser Gebet und gib uns Frieden …
Wie als Antwort darauf erschien ein Feuerball am Himmel, zog einen flammenden Strahl quer über das Antlitz des Mondes, landete auf dem Strohdach und schlug Flammen.
»Heilige Göttin«, flüsterte sie, »hab Gnade mit uns. Es hat begonnen!«
Weitere Feuerbälle kamen geflogen, einige trafen auf Gebäude, andere zischten über den Boden. Mit Ardanos machte sie sich auf in Richtung der Festungspforte, wo es am turbulentesten zuzugehen schien. Ein Krieger rannte an ihnen vorbei, schreiend, die Kleider in hellen Flammen. Auch Lhiannon schrie auf, als ein Geschoss aus einem Wurfgeschütz haarscharf an ihr vorbeisauste, einen Mann traf und gegen eine Mauer klatschte.
Ein Stück
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