Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
Wassertröpfchen, keine Regentropfen, fielen aus der feuchten Luft, und Nebelgeister, die über Berg und Tal schwebten, verdichteten sich mit der immer dunkler werdenden Nacht. Der Nebel hüllte Camadunon ein, legte sich wie kleine glitzrige Edelsteine auf den dicken Wollumhang, in dem Lhiannon fest eingewickelt auf dem Boden lag, und perlte wie kleine Glastropfen an Rianors Bart ab. Der flimmernde Dunst umhüllte die Fackeln, die das Lager der vorrückenden Römer erhellten, schlug sich nieder auf Rüstungen und Speere.
Am folgenden Morgen war die Sonne nicht zu sehen, nur eine dicke, graue Nebeldecke. Das römische Heer, das in seiner gewohnt geordneten Aufstellung aufbrach, nahm den Weg, der am lichtesten schien, und kam bei Einbruch der Dunkelheit an einen Hügel. Doch alles, was sie dort fanden, war ein altes Hügelgrab, umgeben von halb verfallenen Bollwerken, die von Bäumen fast völlig überwuchert waren – keine wild schreienden Kelten, nur die Geister alter Kriege. Und so schloss der Heerführer, dass dieser Vorstoß auf heiße Luft gebaut war, und befahl am folgenden Morgen, nach Südwesten ins Land der Dumnoni zu marschieren. Nie und nimmer kam ihm in den Sinn, dass in der nebelverhangenen Stille in allernächster Umgebung eine Festung der Kelten lag.
Langsam lichtete die stärker werdende Sonne den Nebelschleier über dem Land, und Lhiannon schlug die Augen auf.
Boudicca kam aus Rosics Hütte und zog sich den Wollumhang fester um den Leib. Zu dieser Jahreszeit war es sonst noch hell, aber die dicken Gewitterwolken vom Nachmittag bedeckten nach wie vor den Himmel und ließen die aufgeweichten Felder düster und farblos erscheinen. Sie rieb sich das Kreuz, während das Kind in ihrem Bauch heftig strampelte. Drinnen in der Hütte, wo sie Rosics drei kranke Kinder behandelt hatte, hatte sie die Schmerzen gar nicht gespürt. Wenigstens war das Kind, das sie in ihrem Schoß trug, warm und sicher. Und auch Rosics drei Kinder waren auf dem Weg der Besserung, hatten die Suppe, die sie ihnen eingeflößt hatte, bei sich behalten und waren nun allem Anschein nach über den Berg.
Sie blinzelte in den Himmel. Doch das Bild der grauen Wolkenberge schien ihr so alltäglich, dass sie die Schönheit darin gar nicht mehr sehen konnte. Dabei waren sie im Westen umsäumt von einem schmalen, leuchtgoldenen Rand. Wenn sie sich beeilte, konnte sie es noch nach Hause schaffen, bevor das Licht ganz schwand. Wenn nicht, musste sie sich darauf verlassen, dass sie den Weg auch so fand. Immerhin war sie in den letzten paar Tagen so oft in dieser Gegend unterwegs gewesen, dass sie sich kaum verirren konnte. Sie klemmte die Holzschüssel, in der sie die Suppe gebracht hatte, fest unter den Arm und folgte dem Pfad.
Sie musste vorsichtig gehen, denn überall standen tiefe Pfützen. Der Wind drehte, blies ihr einen feinen Sprühnebel ins Gesicht, und sie fluchte, obwohl sie seit Wochen an diesen feuchtkalten Dunst gewöhnt war. Da kam es auf ein paar Spritzer mehr oder weniger nicht an. Trotzdem hätte sie sich leichter getan, wenn sie einen Diener mitgenommen hätte, dachte sie, als sie erneut auf dem matschigen Boden ausrutschte. Zudem hatte sie auf dem Hinweg beide Hände gebraucht, um die Schüssel festzuhalten. Die Schmerzen in ihrem Rücken wurden stärker, was sie verwunderte, da sie gewöhnlich nachließen, sobald sie sich ein wenig Bewegung verschaffte.
Boudicca blinzelte gegen den Wind und zog den Umhang fest über den Kopf, während der Regen heftiger wurde. Die gewachste Wolle hielt die meiste Feuchtigkeit ab und wärmte somit selbst bei Nässe. Um ihre Knöchel spritzte das Wasser, und sie stolperte. Neben dem Weg floss ein normalerweise kleiner Bach. Doch jetzt waren seine Wasser angestiegen und standen bis an den Rand des Wegs. Vielleicht hätte sie in der Hütte bleiben und abwarten sollen, aber inzwischen war es in beide Richtungen gleichermaßen gefährlich, egal, ob sie weiterging oder sich auf den Rückweg machte.
Da brachte sie ein neuerlicher Windstoß ins Wanken, und sie spürte beim nächsten Schritt, wie der Boden unter ihren Füßen nachgab und sie hart auf das Gesäß schlug. Mühsam rappelte sie sich hoch; ihre Röcke trieften, und erst ganz allmählich dämmerte ihr, dass das warme Wasser, das ihr Untergewand durchnässte, nicht vom Regen kam. Sie hielt an, zuckte vor Schmerz zusammen, als ihr Bauch sich mit einem plötzlichen stechenden Schmerz krampfartig zusammenzog. Sie war doch erst im siebten
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